Das Moor Des Vergessens
eingesetzt hatte. Aber die andere Seite dieses Stolzes war das Grauen vor dem, was und wie er es getan hatte und dass er Geno dort zurückgelassen hatte, wo sie ihn finden musste. Und jetzt war sie auf der Flucht wegen etwas, um das sie keineswegs gebeten hatte.
Tenille spürte einen Kloß im Hals, als wäre ein Stück Brötchen stecken geblieben. Alles war total verfahren. Sie war müde und erschöpft und wahrscheinlich draußen auf der Straße in größerer Gefahr, als ihr je von Geno gedroht hätte. Es war ungerecht. Sie sollte nicht so allein sein und für sich selbst sorgen müssen. Andere Leute mussten sich nicht mit so einem Mist herumschlagen.
Sie rieb sich die Augen, entschlossen, in dem hellen Licht der Imbissstube nicht in Tränen auszubrechen. Sie musste sich zusammennehmen, musste etwas finden, das sie beruhigte. Sie schloss die Augen und rief sich die Worte eines Gedichts ins Gedächtnis.
Mein Herz tut weh,
und eine schläfrige Betäubung schmerzt meinen Sinn,
als wenn ich Schierling getrunken.
Das war der richtige Weg, dachte sie erleichtert. Sich an den Worten berauschen, sie die Gedanken beherrschen lassen. Keats und Shelley, Coleridge und Byron. Sie würden ihr helfen, die Nacht zu überstehen. Sie war nicht allein. Sie konnte durchhalten.
Eine Autostunde entfernt saß Jane vor ihrem Laptop, den Kopf in die Hände gestützt. Ihre Mutter hatte sie zum Abendessen gerufen, aber sie hatte sich entschuldigt und einen verdorbenen Magen vorgeschützt. Judy hatte Janes Behauptung, sie hätte in Carlisle ein Sandwich mit nicht ganz einwandfreiem Geflügelsalat gegessen, nicht hinterfragt. Es passte zu gut zu ihrem Misstrauen gegenüber allen Speisen, die nicht von einem Mitglied des Landfrauenvereins zubereitet waren.
Es hatte zwar kein Sandwich gegeben, aber Jane war es trotzdem schlecht. Bei den Worten der Nachrichtensprecherin hatte sich ihr der Magen umgedreht, und ihr war übel geworden. Geno Marley war tot. Ermordet. Auf einer der Websites, die sie aufgerufen hatte, stand: mit einer Schrotflinte erschossen. Weggefegt für immer, und das nur Stunden nachdem sie John Hampton vor der Gefahr gewarnt hatte, die der Mann für seine Tochter darstellte. Das konnte kein Zufall sein.
Allerdings hatte sie so etwas nicht gewollt oder erwartet. Sie hatte gedacht, Hampton oder einer seiner Schläger würde Geno zurückhalten oder ihm vielleicht eine Abreibung verpassen, um ihrem Ratschlag Nachdruck zu verleihen. Aber mit einer so extremen Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Sie war in eine Welt hineingestolpert, deren Regeln sie nicht verstand. Sie hatte ein Verbrechen verhindern wollen, nicht eines verursachen. Und jetzt hatte sie sich schuldig gemacht, hatte das Leben eines Mannes auf dem Gewissen. Nichts in ihrer Vergangenheit hatte sie auf diese Bürde vorbereitet. Ihre erste Reaktion war, dass sie die Polizei anrufen müsste. Aber sobald sie darüber nachdachte, wusste sie, dass das kein Ausweg war. Sie musste an Tenille denken. Warum die Polizei hinter ihr her war, war Jane rätselhaft. Wo war sie? Was hatte sie getan, dass sie so interessiert daran waren, sie zu finden? Der verflixte Matthew hatte Recht. Eine Suchmeldung gaben sie nicht wegen einer unschuldigen Person heraus. Irgendwie war Tenille in die Sache verwickelt. Jane verstand nicht, wie, aber sie spürte, dass es Tenille nicht helfen würde, zur Polizei zu gehen.
Außerdem hatte sie keinen Beweis dafür, dass John Hampton Geno getötet hatte. Wenn die Polizei anfing, ihn zu verhören, würde er wissen, wer seinen Namen ins Spiel gebracht hatte. Ihre große Angst war, dass Hammer jetzt, wo Tenilles Name öffentlich genannt wurde, Jane als eine mögliche Schwachstelle betrachten könnte. Er wusste nichts über sie. Vielleicht traute er ihr nicht zu, dass sie die Polizei aus dem Spiel lassen würde. Und da Jane jetzt erlebt hatte, wozu er fähig war, glaubte sie nicht, dass er zögern würde, an ihr die Rache zu nehmen, die er für angebracht hielt. Und sie wollte nicht sterben.
Jane fröstelte trotz der gemütlichen Wärme in ihrem Zimmer. Sie hatte Tenille gerettet. Nur hatte sie nicht mit dem Preis für diese Rettung gerechnet.
Als freie Männer auf dem Ozean zu segeln war ein so belebendes und geradezu berauschendes Erlebnis, wie es kaum ein Engländer je erfahren hatte. Aber diese Gefühle wurden von der Verpflichtung gedämpft, die auf mir lastete, einen sicheren Ort für meine Mannschaft finden zu müssen. Die
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