Das Moor Des Vergessens
zurück nach Carlisle?«
»Das bringt nichts, ich habe alles wichtige Material schon durchgesehen. Meine einzige Hoffnung ist jetzt, dass Dan etwas im St. Catherine's House finden könnte.« Im Hintergrund fingen die Nachrichten an, der Ton war so leise gestellt, dass die Unterhaltung nicht gestört wurde. »Das ist doch da, wo du wohnst«, rief Allan und drückte auf den Lautstärkeknopf der Fernbedienung. »Marshpool Farm Estate.« Aller Augen richteten sich auf den Fernseher, wo die Nachrichtensprecherin der Kamera ihr bestes ernstes Gesicht präsentierte. »... vor zwei Nächten. Die Polizei versucht, ein dreizehnjähriges Mädchen zu finden, das mit seiner Tante in der Wohnung lebte, wo der Mord sich ereignete.« Ein Schulfoto erschien auf dem Bildschirm. Jane stockte der Atem. »O Gott«, sagte sie.
Die Sprecherin fuhr fort. »Tenille Cole ist nicht gesehen worden, seit das Feuer in der Wohnung im sechsten Stock wütete, wo der Ermordete, Geno Marley, gefunden wurde.« Jetzt wechselte das Bild zu einem Kriminalbeamten, der vor dem vertrauten grauen Beton der Marshpool-Siedlung stand und sagte: »Wir sind auf der Suche nach Tenille. Sie ist seit der Schießerei und dem Brand nicht mehr gesehen worden, und wir sind sehr um ihr Wohl besorgt. Wir bitten dringend jeden, der weiß, wo sie ist, sich zu melden.« Zurück zur Nachrichtensprecherin. »Die Regierung hat neue Maßnahmen angekündigt, um ...« Allan stellte den Ton ab und wandte sich an Jane. Ihr Gesicht war kreideweiß, und sie hielt Gabriel so fest, dass er anfing zu wimmern. »Um Gottes willen«, sagte Matthew, stand auf und streckte die Arme nach seinem Sohn aus. »Du machst ihm ja Angst.« Jane biss sich auf die Unterlippe und gab ihm Gabriel ohne ein Wort zurück. Judy sah sie nur kurz an, eilte zu ihr und legte die Arme um sie. »Ist alles in Ordnung?« »So ist es in London«, sagte Matthew. »Wenn es keine Selbstmordattentäter sind, dann eben Mörder. Man ist nicht mal in seiner eigenen Wohnung sicher.«
Allan schüttelte den Kopf. »Gott sei Dank, dass du hier oben warst, Jane.«
Jane ließ sich von ihrer Mutter umarmen. »Ich wusste, dass es schlimm ist, wo du wohnst«, sagte ihre Mutter, und man hörte ihrer Stimme an, dass sie sich Vorwürfe machte. »Wir hätten dich niemals diese Wohnung nehmen lassen dürfen. Wir müssen sehen, was wir tun können, damit du woanders wohnen kannst.«
Jane machte sich los und klopfte ihrer Mutter auf die Schulter. »Es ist nicht so, Mum. Jemand wie ich ist nicht in Gefahr. Diese Sachen, die sind intern. Leute, die mit ihresgleichen abrechnen. Ihr Leben, ihre Welt, das hat nichts mit mir zu tun.«
»Aber warum tust du dann so, als hättest du einen Geist gesehen?«, fragte Matthew, ausnahmsweise einmal nicht herzlos. »Was hältst du vor uns geheim, Jane?« Es war ihr anzusehen, dass sie sich zusammennahm. »Ich kenne Tenille, nichts weiter.«
»Das schwarze Mädchen auf dem Bild? Du kennst sie?« Ihr Vater klang verblüfft, als ob eine fremde außerirdische Welt die Hand nach seiner Tochter ausgestreckt hätte. »Wieso kennst du so jemanden?«
»Meinst du, weil sie schwarz ist, oder weil sie ein Teenager ist?«, fragte Jane etwas gereizt, was ihrem Vater gegenüber selten vorkam.
»Weil sie mit einem Mord zu tun hat, meint dein Vater«, sagte Judy, der Friedensengel. »Und das ist doch eine gute Frage. Wieso kennst du ein Mädchen, das von der Polizei in Verbindung mit einem Mord gesucht wird?« »Sie wird nicht in dem Sinn von der Polizei gesucht, wie sich das bei euch anhört. Sie sind besorgt ihretwegen«, sagte Jane abwehrend.
»Und das ist genau das, was sie immer sagen, wenn sie hinter einem Verdächtigen her sind«, betonte Matthew. »Woher kennst du sie also?«
»Sie wohnt im gleichen Block wie ich. Wir sind einmal ins Gespräch gekommen, und ich habe entdeckt, dass sie Gedichte mag. Sie wohnt bei ihrer Tante, der sie vollkommen egal ist, und in der Schule wird sie kaum ermutigt, deshalb kommt sie zu mir, leiht sich Bücher und redet über Dichtung.« Jane schüttelte den Kopf. »Ich kann's nicht fassen.« »Du behauptest also, sie ist die einzige unter den schwarzen Jugendlichen in deiner Slumsiedlung, die es geschafft hat, sich die Hände nicht schmutzig zu machen?« Matthew klang skeptisch.
»Ach bitte, verschone mich doch mit diesen spießigen Vorurteilen«, sagte Jane frustriert. »Es gibt viele anständige Leute, Schwarze oder Weiße, die in Marshpool wohnen. Ehrlich gesagt, wenn man
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