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Das Mordkreuz

Das Mordkreuz

Titel: Das Mordkreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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fanden eine Wohnung gleich in der Nähe meiner Universität, wo ich nun professionell meinen Studien nachgehen konnte. Obwohl meine Schwester nicht auf den Kopf gefallen war, tat sie sich mit der Schule schwer. Der Verlust ihrer Eltern hatte das ohnehin schüchterne Kind mit ihrem kleinen Ego allein gelassen. Ich tat, was ich nur konnte, um diese Lücke zu schließen. Vater, Bruder und Freund in einer Person. Zusammen schafften wir es, dass sie dennoch einen guten Schulabschluss machte. Fortan konnte sie ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten, und ich hatte mehr Zeit, mich um meine Laufbahn an der Universität zu kümmern.
    Der Magister war schnell geschafft, für eine Doktorandenstelle musste ich jedoch nach Würzburg wechseln – im Gepäck meine Schwester, die ohne mich nicht sein wollte. Hier trafen wir auf hilfsbereite Menschen, die uns bald in ihr Herz schlossen. Etwas unerwartet Neues tat sich auf: die fränkische Geschichte mit ihren Verbindungen zu Irland. Darunter historische Handschriften aus dem sechsten bis neunten Jahrhundert, der Zeit der Missionierung Mainfrankens durch die Frankenapostel Kilian, Kolonat und Totnan.
    Im Zuge dieser Studien wurde mir offenbar, wie reichhaltig die Geschichte dieser kleinen Region war. Hier fanden sich neben den weltpolitischen Ereignissen vergangener Zeiten auch die vielen kleinen wundersamen Geschichten, die dieses Fleckchen Erde so geprägt hatten. Die Sagen- und Legendenweltberichtete von Geistern, Lindwürmern, Reitern ohne Kopf, der Pest, dem Dreißigjährigen Krieg, geheimnisvollen Feuern und Seen und schließlich zu meiner freudigen Überraschung auch von Weißen Frauen.
    Ich war auf der Stelle gefangen von meiner Entdeckung. Weiße Frauen waren seit Jahrhunderten durch diesen Landstrich gegeistert, und ich hatte nichts davon gewusst. Sofort machte ich mich ans Studium der Quellen. Sie ergaben, dass die Beschreibungen von denen der irischen Banshees an manchen Stellen abwichen, doch zeigten sie auch einige überraschende Ähnlichkeiten. Ihr Auftreten im Vorfeld des Todes, das typische Wimmern und Weinen oder das übereinstimmende Erscheinen in Weiß. Ich fraß mich durch die Berichte und Bücher, die ich in den Bibliotheken finden konnte.
    Und dann, eines Tages, traf ich sie, leibhaftig. Sie begegnete mir, wie sollte es anders sein, mit einem Buch – der
Geschichtlichen Prüfung der Sage und Beobachtung der Erscheinung seit dem Jahre
1486
bis auf die neueste Zeit
von Julius Freiherr von Minutoli.
    Ich konnte mein Glück kaum fassen.

22
    Ihr Mann sei nicht zu Hause, hatte Dorothea Müller am Telefon gesagt. Ohne ihn fühle sie sich außerstande, die Fragen Kilians zu beantworten. Es würde nicht lange dauern, versicherte Kilian daraufhin, und seine Fragen bezögen sich auch nicht auf die Vergewaltigung, sondern auf den darauffolgenden Prozess. Unter dieser Voraussetzung hatte sie schließlich zugestimmt und ihren Mann angerufen, damit er dem Gespräch beiwohnte.
    Die Doppelhaushälfte lag von zwei Bäumen im Vorgarten geschützt auf dem Weg hinauf zum Gewerbegebiet in Lengfeld. Ein auffallend blasser Mann in den Vierzigern öffnete die schwere Eingangstür. Er bat Kilian durchs Wohnzimmer auf die Terrasse. Seine Frau befände sich im Garten. Kilian sah sie mit einem Schlauch in der Hand die Blumen spritzen.
    «Kann ich Ihnen etwas anbieten?», fragte der Mann und wies Kilian einen Stuhl zu.
    «Danke, nein», antwortete er. «Wie geht es Ihrer Frau?»
    «Besser. Sie genießt es, im Garten zu sein.» Er blickte auf die Uhr. «Wir haben nicht viel Zeit. Ich muss bald wieder an die Arbeit zurück.»
    «Sie arbeiten in der Nähe?»
    «Ja, anders würde es auch gar nicht gehen. Ich muss schnell zur Stelle sein, wenn sie mich braucht.» Er blickte hinüber zu seiner Frau, die noch immer an der gleichen Stelle stand und einen Busch wässerte. «Schatz», rief er zu ihr hinüber, «ich glaube, der hat jetzt genug. Die anderen wollen auch noch was.»
    Sie hörte auf seine Anweisung und ging zum nächsten Busch über. Dort verharrte sie, ohne sich nach ihm und dem Besuch umzusehen, den sie zweifellos bemerkt hatte.
    «Sie braucht noch Hilfe», sagte er. «Es ist eine lange Reise zurück ins Leben, meinen die Ärzte. Wir müssen Geduld haben. Nun, was führt Sie zu uns?»
    Kilian räusperte sich. «Sie haben sicherlich vom Tod von Richter Zinnhobel und Staatsanwalt Mangel gehört   …»
    «War kaum zu übersehen. Die Zeitungen waren voll davon.»
    «Wir ermitteln

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