Das Mordkreuz
sie. «Ich mache gerade einen Eistee für die Kinder. Wollen Sie auch einen?»
«Gern.»
Francesca und Lucca saßen am Esstisch. Vor ihnen zwei große leere Gläser. «Hallo, ihr beiden», begrüßte sie Heinlein. «Wie geht’s euch?»
«Wir haben Durst», antwortete Francesca.
«Ist ja auch mächtig heiß.»
Die Frau kam mit einer Karaffe an den Tisch und schenkte ein. «Langsam trinken», bremste sie die Kinder, die die Erfrischung sehnsüchtig erwarteten, «der Tee ist sehr kalt.»
Genauso wenig wie die Kinder konnte sich Heinlein zurückhalten. Er trank sein Glas in einem Zug leer. «Sehr lecker, vielen Dank. Darf ich fragen, wie Sie heißen?»
«Susanne Härtlein.»
«Wie lange kennen Sie Herrn Wilde?»
«Sechs Monate ungefähr.»
«Wie haben Sie sich kennengelernt?»
«Im Supermarkt. Er wusste nicht, ob man süße Sahne oder Sauerrahm für Kohlrabi-Gemüse nimmt.»
Heinlein schmunzelte. «Das kenne ich gut. Meine Frau hat es mir schon hundertmal erklärt. Leider erfolglos. Manche Dinge kann man sich einfach nicht merken. Seit wann leben Sie zusammen?»
«Ich habe noch meine eigene Wohnung. Aber wir werden das zum Jahresende ändern.»
«Die Kinder brauchen eine Mutter.»
Francesca intervenierte. «Mama ist tot.»
Susanne Härtlein pflichtete ihr bei. «Ja, das stimmt, Liebes. Ich bin dafür Papas und besonders deine Freundin.»
«Die Kinder vermissen sie sehr?», fragte Heinlein.
«Eine Mutter kann man nicht ersetzen. Ich tue mein Möglichstes.»
«Wie kommt Herr Wilde damit zurecht?»
«Es ist nicht einfach für ihn. Aber er gibt sich große Mühe.»
«Diesen Eindruck hatte ich bei unserem Gespräch auch. Sie teilen sich die Arbeit auf, sagte er mir.»
«Kinder zu erziehen ist keine Arbeit für mich. Und er braucht alle Hilfe, die er bekommen kann. Er hatte es so schwer, seit dem Tod seiner Frau.»
«Hat er sie sehr geliebt?»
«Er gibt es nicht zu, aber ich weiß es. Eine Frau spürt das.»
«Ist das nicht schwer für Sie?»
«Manchmal schon. Aber ich wusste ja, worauf ich mich einlasse.»
«Haben Sie damals von dem Unfall gehört?»
«Ich hatte es in der Zeitung gelesen. Eine furchtbare Sache. Er macht sich noch immer Vorwürfe, dass er sie mit dem Wagen hat fahren lassen.»
«Ich habe es in seiner Aussage gelesen. Am Vorabend des Unfalls hätte der Wagen repariert werden sollen.»
«Ja, ist das nicht furchtbar? Er ist so gewissenhaft in allen Dingen, die er anfasst. Nur das eine Mal überlässt er seiner Frau die Aufgabe, den Wagen reparieren zu lassen, und schon passiert so etwas.»
«Er hat mit Ihnen darüber gesprochen?»
«Gelegentlich. Er macht sich große Vorwürfe deswegen. Hätte er damals nicht arbeiten müssen, dann wäre sie noch am Leben.»
Der Gong unterbrach sie. «Entschuldigen Sie, da ist jemand an der Tür.» Sie stand auf und verließ das Zimmer.
Heinlein bemühte ein Lächeln, um das ernste Thema vor den Kindern zu verbergen. Lucca spielte mit dem Strohhalm in seinem Glas, aber Francesca schien irritiert.
«Was ist, Kleines?», fragte Heinlein. «Hast du zu schnell getrunken?»
«Nein», antwortete sie. «Papa wollte doch mit dem Auto in die Werkstatt.»
«Wie bitte?»
«Papa ist immer mit dem Auto in die Werkstatt gefahren. Mama durfte da nicht ran. Bevor er zur Arbeit ging, hat er das Auto noch ausprobiert.»
«Wie meinst du das?»
«Er ist damit ins Dorf gefahren. Und als er zurückkam, hat er es rückwärts vor die Garage gestellt.»
«So, als sei alles startbereit und in Ordnung?»
32
Der Straßenverlauf der B13 zwischen Randersacker und Eibelstadt war kerzengerade. Dass es auf diesem Teilstück regelmäßig zu Verkehrsunfällen kam, lag offenbar an der Sorglosigkeit der Verkehrsteilnehmer, die meinten, alles im Griff zu haben. So musste es auch Rosie Wilde an jenem Morgen ergangen sein, als sie ungebremst unter den Auflieger des Sattelschleppers gerast war. Da sie täglich die Strecke fuhr, wusste sie um die Gefährlichkeit. Umso mehr hätte sie wegen des Nebels achtgeben müssen, der an diesem Morgen nicht mehr als fünfzig Meter Sicht ließ. Wahrscheinlich war sie in Eile gewesen.
Anders konnte es sich Heinlein nicht erklären. Er stand an der Auffahrt zur A3 in Richtung Frankfurt – einem Zubringer, der vom abfahrenden Verkehr aus Richtung Biebelrieder Dreieck genutzt wurde. Zumindest war von dort der Sattelschlepper gekommen, den Frank Wuhlheide gesteuert hatte. Nach Auswertung des Fahrtenschreibers war er die Nacht durchgefahren,
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