Das Mordkreuz
weit gut. Morgen haben wir einen Arzttermin. Kontrolluntersuchung mit Ultraschall. Kaum zu glauben, wie schnell so eine Eizelle wächst …»
«Still», unterbrach Heinlein. Er schreckte auf. Da war erneut ein Geräusch. «Hast du’s jetzt gehört?»
«Nein, da war nichts.» Er hatte die Worte noch nicht zu Ende gesprochen, als über den Schrottbergen ein heller Blitz aufleuchtete, dem eine dumpfe Verpuffung folgte. Dann schlugen Flammen empor.
Kilian und Heinlein sprangen auf. «Nimm du die rechte Seite, ich die linke», rief Heinlein und rannte los.
Mit einem Satz sprangen sie über den Zaun und rannten in verschiedene Richtungen. Heinlein fand den Fiat Uno an der Stelle, wo er ihn sich tags zuvor hatte zeigen lassen. Doch nun brannte er lichterloh. Da muss ein Brandbeschleuniger wie Benzin im Spiel sein, sagte er sich, als er um den Flammenherd herumging. In der heißen Luft lag ein verräterischer Geruch.
Heinlein versuchte im Dunkel etwas zu erkennen. Wo steckte Wilde? Er konnte nicht weit sein.
«Schorsch!», hörte er Kilian rufen. Es kam aus dem unteren Teil des Geländes, dort, wo es am Ufer des Mains endete. Heinlein rannte los. Er fand Kilian an der Uferbegrenzung stehen.
«Was ist?», fragte er.
«Er ist über das Wasser getürmt», antwortete Kilian. «Ich glaube, das Schlagen von Rudern gehört zu haben.»
«Aber gesehen hast du ihn nicht?»
«Nein.»
Heinlein blickte hinüber zum dämmrig erleuchteten Hafen. Die Boote waren unbesetzt. Im Restaurant würde er bestimmt einen der Besitzer finden. Aber das dauerte zu lange. Bis dahin wäre Wilde auf und davon.
«Komm», sagte er, «wir nehmen das Auto.»
Sie liefen zurück zum Parkplatz und starteten den Wagen. Was war der schnellste Weg hier raus? Keiner der beiden verfügte hier über eine genaue Ortskenntnis. Also mussten sie denselben langen Weg zurück nehmen, den sie gekommen waren. Wertvolle Zeit verstrich. Wie weit war es bis nach Winterhausen? Drei Kilometer? Der Wasserweg war auf jeden Fall kürzer. Aber Wilde musste gegen die Strömung ankämpfen. Wie stark war sie? Würde sie ihn lange genug aufhalten, bis sie ihn am Ufer vor seinem Haus in Empfang nehmen konnten?
Heinlein trat aufs Gas, als sie die Auffahrt der B13 erreicht hatten. Der BMW schoss durch die Nacht. Sie hatten die Hälfte der Strecke bereits hinter sich, als sie unerwartet ausgebremst wurden. Heinlein sah es gerade noch rechtzeitig. Ein Wagen hatte sich überschlagen und blockierte die gesamte Straße.
«Verdammt!», fluchte er und schlug aufs Lenkrad.
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Die Auswahl ist groß. Ich kann unter unzähligen Bildstöcken und Martern wählen. Sie alle haben ihre Geschichte. Am ehesten würde noch die Sage um
Die auferstandene Frau
ins Bild passen, das ich für die Nachwelt gestalten werde.
Sie lautet folgendermaßen: Im Herbst des Jahres 1564 war die Frau des Schweinfurter Stadtschreibers Alberti in einen Starrkrampf gefallen. Man glaubte sie tot und bestattete sie in einer Gruft am alten Friedhof. Einer der Totengräber hatte an ihrer Hand einen wertvollen Ring gesehen. Er schlich sich nachts in die Gruft, um den Ring von ihrem Finger zu lösen. Zu seinem Entsetzen erwachte jedoch die Frau, vertrieb den Grabräuber und lief im weißen Totenhemd durch die nächtliche Stadt zu ihrem Haus. Dort klingelte sie, wurde aber von ihrem ungläubigen Ehemann verkannt. Daraufhin liefen unter großem Getöse die Pferde die Treppe hinauf zum Ungläubigen. Erst jetzt nahm er die Frau im Totenhemd auf der Straße näher in Augenschein und erkannte schließlich in ihr seine frierende Ehefrau.
Sie gebar ihm später ein Kind. Sowohl der Frau als auch dem Kind war jedoch kein langes Leben beschieden. Bald darauf starben sie. Nun wurde die Frau ein zweites Mal beigesetzt. Auf der Grabplatte stellte man sie lebensgroß mit ihrem Wickelkind dar, in den Wirren des Zweiten Weltkriegs wurde diese Platte jedoch zerstört.
Meine Rós Fódhla hat ihre eigene Sage verdient. Und sie ist noch nicht einmal erfunden, sondern hält sich an die Geschehnisse, die zu ihrem Tod geführt haben. Ich werde dieseGeschichte aufschreiben und meinem Letzten Willen beilegen. Damit setze ich ein unübersehbares Zeichen, das den Frevel für alle Zeit und weithin sichtbar dokumentiert. Ist das vollbracht, so wünsche ich neben meiner Geliebten bestattet zu werden. Möge die Nachwelt über die Rechtmäßigkeit meiner Taten richten. Mich kümmert es nicht mehr.
Bevor ich mich erhebe und tue, was getan werden
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