Das Moskau-Komplott
tippte eine kurze Nachricht in seinen Blackberry.
Zwei Minuten später sprang die Anzeige auf der Abflugtafel von DELAYED auf NOW BOARDING. Einhundertsiebenundachtzig müde Passagiere brachen in Beifall aus. Drei nervöse Männer starrten bedrückt aus dem Fenster auf die glitzernde Rollbahn.
»Keine Sorge, Uzi. Du hast das Richtige getan.«
»Sag das nur niemals zu Chiara. Sie wird mir nie verzeihen.« Navot schüttelte langsam den Kopf. »Es ist nie gut, seinen Partner zu einem Einsatz mitzunehmen. Man sollte meinen, Gabriel hätte das inzwischen begriffen.«
Vor nicht allzu langer Zeit hätte sich ein Mann, der in Moskau allein in einem geparkten Wagen saß, sofort verdächtig gemacht. Doch das hatte sich geändert. Inzwischen war es normal, dass Moskowiter in geparkten Autos saßen oder mit ihrem Wagen im Verkehr feststeckten.
Gabriel parkte am Nordrand des Bolotnaja-Platzes, neben einer Plakatwand, die mit dem mürrischen Konterfei des Präsidenten beklebt war. Er wusste nicht, ob er im Parkverbot stand oder nicht. Es war ihm auch egal. Wichtig war nur, dass er den Eingang des »Hauses an der Uferstraße« sehen konnte. Er ließ den Motor laufen und hatte das Radio an. Die Sendung, die gerade lief, klang nach einem Nachrichtenmagazin: längere Ausschnitte aus der Rede des Präsidenten, dazwischen immer wieder Kommentare einer Journalisten- und Expertenrunde. Die Kommentare waren sicherlich voll des Lobes, denn andere duldete der Kreml nicht.
Gemeinsam voran!,
wie der Präsident zu sagen pflegte. Und behaltet eure Kritik für euch.
So hatte er zwanzig Minuten gewartet, als zwei unterernährte Milizionäre in feucht glänzenden Uniformen um die Ecke bogen. Gabriel drehte das Radio lauter und nickte freundlich. Einen Moment lang befürchtete er, sie könnten ihn durchsuchen. Doch sie musterten nur verächtlich seinen Wolga, als wollten sie sagen, dass er an einem regnerischen Abend wie diesem ihre Zeit nicht wert sei. Als Nächstes kam ein Mann mit dunklen, strähnigen Haaren und einer offenen Flasche Baltika-Bier in der Hand. Er kam zu Gabriels Fenster geschlurft und schlug seinen Mantel auseinander, unter dem eine halbe Apotheke zum Vorschein kam. Gabriel verscheuchte ihn mit einer Handbewegung, schaltete den Scheibenwischer an und richtete seine Augen wieder auf das Haus. Insbesondere auf die Lichter, die in der Wohnung im neunten Stock mit Kremlblick brannten.
Um 19.48 Uhr erloschen sie. Die Frau, die gleich darauf aus dem Haus trat, trug keine Handtasche über der linken Schulter. Sie trug überhaupt keine Handtasche bei sich. Sie ging schneller als normal. Luka Osipow, vom Leibwächter zum Kidnapper mutiert, hielt sie an einem Arm fest und ein Kollege am anderen. Arkadij Medwedew ging ein paar Schritte hinter ihnen, den Kopf zum Schutz vor dem Regen gesenkt, die Augen nach oben gerichtet und in Bewegung.
Ein Mercedes wartete am Straßenrand. Die Sitzordnung war offensichtlich vorher festgelegt worden, denn das Einsteigen erfolgte mit bewundernswerter Schnelligkeit und Effizienz: Elena auf den Rücksitz, eingeklemmt zwischen zwei Leibwächtern, Arkadij Medwedew auf den Beifahrersitz, jetzt ein Handy am Ohr. Der Wagen kroch bis zum Ende der Serafimowitschastraße, dann verschwand er im schwarzen Dunst. Gabriel zählte bis fünf, dann legte er den ersten Gang ein.
Gemeinsam voran.
62 Moskau
Sie brausten in südlicher Richtung aus der Stadt. Die Straße war nach Lenin benannt und von bleibenden Erinnerungen an den sowjetischen Aberwitz gesäumt. Wohnblocks - Wohnblocks ohne Ende. Die größten Wohnblocks, die Gabriel jemals gesehen hatte. Es war, als hätten die Führer der Kommunistischen Partei in ihrer unendlichen Weisheit beschlossen, die gesamte Bevölkerung des größten Landes der Welt zu entwurzeln und hier, an einem armseligen, wenige Kilometer langen Abschnitt des Leninskij Prospekt, wieder anzusiedeln. Und das obwohl hier Ende September alles von Eis und Schnee bedeckt sein würde.
Um diese Tageszeit bestand der Leninskij Prospekt eigentlich aus zwei verschiedenen Straßen: Die Fahrspuren stadteinwärts waren mit Moskowitern verstopft, die aus dem Wochenende in ihrer Datscha zurückkamen, auf den Fahrspuren stadtauswärts reihten sich riesige Lastwagen, die auf dem Weg in die entlegensten Winkel des Reichs aus der Hauptstadt donnerten. Die Laster waren sowohl seine Verbündeten als auch seine Feinde. Mal boten sie Gabriel eine Möglichkeit, sich zu verstecken. Mal versperrten sie ihm
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