Das Moskau-Komplott
Bulganow Einblicke in Iwan Charkows Geschäfte gewonnen hatte wie kein zweiter Außenstehender. Ja, Bulganow war davon überzeugt, dass er mehr über Iwans Waffenschiebereien wusste als jeder andere Geheimdienstmitarbeiter auf der Welt. In Russland konnte solches Wissen gefährlich werden. Mitunter konnte es sogar tödliche Folgen haben, und dies war auch der Grund, warum Bulganow sorgsam darauf achtete, es sich mit Arkadij Medwedew nicht zu verscherzen. Und warum er, als Medwedew ihn an einem Sonntagabend um 23.15 Uhr auf dem Handy anrief, nicht einmal daran zu denken wagte, das Klingeln zu ignorieren.
In den folgenden drei Minuten sprach Grigorij Bulganow kein Wort. Stattdessen zerriss er ein Blatt Notizpapier in hundert Stücke, während er sich Medwedews Bericht darüber anhörte, was sich am Nachmittag in Moskau zugetragen hatte. Er war froh, dass Medwedew ihn angerufen hatte. Er wünschte nur, er hätte es auf einer sicheren Leitung getan.
»Sind Sie sicher, dass er es ist?«, fragte Bulganow. »Ganz sicher.«
»Wie ist er wieder ins Land gekommen?« »Mit einem amerikanischen Pass und einer primitiven Verkleidung.« »Wo ist er jetzt?« Medwedew nannte ihm den Ort. »Was ist mit Iwans Frau?« »Die ist ebenfalls hier.« »Was haben Sie vor, Arkadij?«
»Ich gebe ihm noch eine letzte Chance, ein paar Fragen zu beantworten. Dann werfe ich ihn irgendwo in ein Loch.« Eine Pause. »Es sei denn, Sie wollen das für mich erledigen, Grigorij.«
»Mit Freuden. Schließlich hat er einen direkten Befehl missachtet.«
»Wie schnell können Sie hier sein?«
»Geben Sie mir eine Stunde. Ich würde gern auch ein Wort mit der Frau reden.«
»Nur ein Wort, Grigorij. Diese Angelegenheit geht Sie nichts an.«
»Ich werde mich kurzfassen. Aber sorgen Sie dafür, dass sie da ist, wenn ich komme.« »Sie wird hier sein.« »Wie viele Männer haben Sie bei sich?« »Fünf.«
»Das sind eine Menge Zeugen.«
»Keine Sorge, Grigorij. Die sind nicht sehr gesprächig.«
64 Kaluschskaja Oblast, Russland
Das nächste Mal wachte Gabriel auf, als ihm jemand einen Verband auf das verletzte Auge legte. Er öffnete das eine, das noch intakt war, und sah, dass es niemand anders als Arkadij Medwedew war. Der Russe verarztete ihn nur mit einer Hand. In der anderen hielt er eine Pistole. Eine Stetschkin, vermutete Gabriel, war sich aber nicht sicher. Er hatte sich nie besonders für russische Waffen interessiert.
»Haben Sie Mitleid mit mir, Arkadij?«
»Die Blutung wollte nicht aufhören. Wir hatten Angst, Sie könnten uns wegsterben.«
»Wollen Sie mich nicht ohnehin umbringen?«
»Selbstverständlich, Allon. Aber vorher brauchen wir von Ihnen noch eine kleine Auskunft.«
»Wie könnte man da behaupten, ehemalige kgb-Schergen hätten kein Benehmen?«
Medwedew legte letzte Hand an den Verband, dann sah er Gabriel schweigend an. »Wollen Sie nicht wissen, woher ich Ihren richtigen Namen kenne?«, fragte er schließlich.
»Ich nehme an, den haben Sie von einem Freund beim fsb. Oder haben Sie sich einen Telefonanruf gespart und ihn einfach aus Elena Charkowa herausgeprügelt? Sie sehen so aus wie jemand, dem es Spaß macht, Frauen zu schlagen.«
»Machen Sie nur so weiter, dann lasse ich noch mal Dimitrij auf Sie los. Sie sind nicht mehr der Jüngste, Allon. Noch ein oder zwei Schläge von Dimitrij, und Sie kommen vielleicht gar nicht mehr zu sich.«
»Er vergeudet unnötig viel Kraft beim Schlag. Ich könnte ihm ein paar Tipps geben.«
»Meinen Sie das im Ernst, oder ist das Ihr jüdischer Humor?«
»Unser Humor rührt daher, dass die Russen unsere Nachbarn waren. Ein Pogrom lässt sich mit Humor besser ertragen. Er nimmt der Sache den Stachel.«
»Sie haben die Wahl, Allon. Sie können hier liegen bleiben und die ganze Nacht Witze reißen, oder Sie fangen an zu reden.« Der Russe nahm eine Zigarette aus einem silbernen Etui und zündete sie mit einem passenden silbernen Feuerzeug an. »Sie haben diesen Scheiß nicht nötig und ich auch nicht. Regeln wir die Sache wie Profis.«
»Damit meinen Sie wohl, dass ich Ihnen alles sagen soll, was ich weiß, damit Sie mich umbringen können.«
»So was in der Art.« Der Russe hielt Gabriel das Zigarettenetui hin. »Wollen Sie eine?«
»Rauchen schadet der Gesundheit.«
Medwedew klappte das Etui zu. »Sie sind fit genug für einen kleinen Spaziergang, Allon? Ich glaube, dieser Ort hier dürfte Sie interessieren.«
»Besteht die Chance, dass Sie mir die Handschellen
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