Das Moskau-Komplott
wollen, dass meine Kinder auf einem Gendarmerie-Posten herumsitzen, Sie etwa, Adrian?«
»Kann ich nicht behaupten.«
»Dann lassen wir sie wegbringen. Wer weiß? Vielleicht brauchen wir sie noch, je nachdem, was in den nächsten zehn Minuten in dem Haus in Moskau passiert.«
»Wozu?«
»Ich werde Elena nicht kampflos aufgeben, Adrian, und Gabriel wird das auch nicht, darauf können Sie sich verlassen.« Schamron ließ seine Zigarette in die Kaffeetasse fallen und schwenkte sie einmal im Kreis. »Rufen Sie die Franzosen an. Sie sollen mir Iwans Kinder holen.«
Carter griff zu der sicheren Leitung, die ihn mit der französischen Operationszentrale in Paris verband. Schamron blickte zu dem großen Bildschirm, auf dem unablässig Uzis letzte Nachricht aufblinkte:
am betritt hadu … RAT…
am betritt hadu … RAT …
am betritt hadu … rat ...
Man hatte Sonja und die Kinder in einen freundlichen Aufenthaltsraum gebracht und mit kühlem Fruchtsaft und Eiscreme versorgt. Eine hübsche junge Polizistin blieb die ganze Zeit bei ihnen, weniger aus Sicherheitsgründen als vielmehr, um ihnen Gesellschaft zu leisten. Sie sahen sich Zeichentrickfilme an und spielten ein Kartenspiel, bei dem viel geschrien wurde, aber aus dem niemand schlau wurde, am wenigsten die Kinder selbst. Der Dienststellenleiter ernannte sie zu Ehrengendarmen für diesen Tag und erlaubte Nikolaj sogar, sich seine Dienstpistole anzusehen. Später berichtete er seinen Kollegen, dass sich der Junge für einen Siebenjährigen viel zu gut mit Waffen auskannte.
Nachdem der Dienststellenleiter einen Anruf aus der Pariser Zentrale erhalten hatte, kehrte er in den Aufenthaltsraum zurück und eröffnete den Kindern, dass es nun an der Zeit sei, nach Hause zu fahren. Anna und Nikolaj nahmen die Nachricht keineswegs mit Freude, sondern mit Tränen auf. Für sie waren die Festnahme und Verhaftung ein großes Abenteuer gewesen, und sie hatten es durchaus nicht eilig, in ihren Palast am Meer zurückzukehren. Schließlich ließen sie sich mit dem Versprechen, sie könnten jederzeit zum Spielen wiederkommen, zum Gehen bewegen. Auf dem Weg durch den Hauptkorridor des Reviers hielt Anna die Hand der Polizistin, und Nikolaj belehrte den Dienststellenleiter über die Überlegenheit russischer Waffen. Sonja erkundigte sich nach dem Verbleib der Leibwächter, erhielt aber keine Antwort.
Sie verließen den Gendarmerie-Posten nicht durch den Vordereingang, sondern durch eine Hintertür, die auf einen umfriedeten Hof führte. Mehrere Renault-Dienstwagen parkten dort, zusammen mit einem älteren Peugeot-Kombi, in dem ein grauhaariger Mann in einem Poloshirt von Lacoste saß. Beim Anblick der Kinder stieg er aus und öffnete ruhig lächelnd die hintere Wagentür. Sonja blieb stehen und wandte sich verwirrt an den Dienststellenleiter.
»Was geht hier vor? Wer ist dieser Mann?«
»Das ist Monsieur Henri. Es ist ein guter Mensch. Er wird Sie und die Kinder an einen sicheren Ort bringen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Monsieur Charkow ist momentan bedauerlicherweise in gewissen Schwierigkeiten. Madame Charkowa hat die Kinder bis zu ihrer Rückkehr in Monsieur Henris Obhut gegeben. Sie lässt Sie bitten, bei ihnen zu bleiben. Sie stellt Ihnen dafür eine äußerst großzügige Entschädigung in Aussicht. Verstehen Sie, was ich Ihnen damit sagen will, Mademoiselle ?«
»Ich glaube schon.«
»Sehr schön. Dann steigen Sie jetzt bitte in den Wagen. Und versuchen Sie, nicht so ein erschrockenes Gesicht zu machen. Das macht die Kinder nur nervös. Und das wäre jetzt das Letzte, was sie gebrauchen können.«
Auf dem Flughafen Scheremetjewo-2 in Moskau stand Chiara auf ihrem Platz am Check-in-Schalter, als die Statusanzeige auf der Abflugtafel plötzlich von ON time auf delayed sprang. Im überfüllten, wenige Meter entfernten Warteraum stöhnten gleichzeitig einhundertsiebenundachtzig erschöpfte Stimmen auf. Ein unerschrockener Zeitgenosse, ein orthodoxer Jude mit Bart und dunklem Anzug, trat an den Schalter und verlangte eine Erklärung. »Es handelt sich um ein kleineres mechanisches Problem«, erklärte Chiara ruhig. »Die Verzögerung dürfte nicht länger als ein paar Minuten dauern.« Der Mann kehrte zu seinem Platz zurück, skeptisch, ob man ihm die Wahrheit gesagt hatte.
Chiara drehte sich um und blickte zur Anzeigetafel hinauf:
DELAYED...
Mach, dass du wegkommst, Gabriel,
dachte sie.
Dreh dich um und mach, dass du wegkommst.
60 Moskau
Der Himmel
Weitere Kostenlose Bücher