Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
sich, wie der von der Toilette kam mit Wasserspritzern auf Hemd und Jackett und mit geröteten Augen. Aber sonst sah er passabel aus. Er hatte sich tatsächlich zusammengerissen, warf zwar hin und wieder erbärmliche Blicke auf Henri, aber der Tischrunde schien es egal zu sein, dass Winterroth nicht mehr in Topform war. Sie hatten ja gesehen, wie er den Wodka in sich hineinstürzte, da geriet einer schon mal aus der Fassung oder kriegte einen Rappel.
    »Sie sind gut«, sagte Scheffer. Er konnte seiner Stimme einen sehr freundlichen Klang geben. »Ich hab’s gewusst, dass Sie das sind.«
    »Ich habe dem Herrn eine Lösung angedeutet, dass wir vielleicht etwas tun könnten, wenn er …«
    »Ist schon in Ordnung«, sagte Scheffer trocken. »Das verhindert wohl, dass er sich vor die Elektrische stürzt.«
    »Was haben Sie mit ihm vor?«
    Scheffer wandte sein Gesicht zu Henri. Ein Lada raste vorbei, ein junger Mann passierte federnden Schritts ein unbeleuchtetes Schaufenster, Henri wusste nicht mehr, wo sie waren. Aber es beunruhigte ihn nicht.
    »Was glauben Sie denn? Meinen Sie, man könnte so einen umdrehen?« Er schaltete runter, weil sie sich einer Kreuzung näherten. Während er bremste, sagte er: »Na schön, umdrehen könnte man den mit Leichtigkeit, dem geht der Arsch auf Grundeis. Aber was hätten wir davon? Bei der nächsten Krise flippt er aus und verpfeift alles, was er weiß, wenn nicht noch mehr. Mit solchen Typen können wir nichts anfangen. Wir lassen ihn im Glauben, dass alles gut wird, und sobald er zu Hause ist …« Scheffer hielt an und warf seine Hand über die Schulter.
    Als sich kein Auto näherte, zuckelte er über die Kreuzung, so, wie er überhaupt die Ruhe in Person war. »Sie haben das gut gemacht, Henri.«
    »War leicht.«
    »Gar nichts ist leicht. Hier ist nichts leicht. Hier geht es am Ende immer um Leben oder Tod.«
    Diese Wendung ins Dramatische, dieser Stimmungsumschwung, da war etwas, das auf Scheffer lastete.
    »Was meinen Sie, … Georg?«
    Scheffer gab kurz Gas wie als Protest gegen Henris Begriffsstutzigkeit. »Der fährt ein in Stadelheim oder wo auch immer, der saubere Herr Winterroth. Das ist zwar keine schöne Aussicht für ihn, auch wenn ich finde, dass er’s sich redlich verdient hat. So, wie ich diese Typen kenne, wird er was von seinem Judaslohn gebunkert haben und nicht auf die Sozialhilfe angewiesen sein, wenn er wieder rauskommt. Obwohl, ich trau ihm zu, dass er dann auch noch auf bedürftig macht. Wenn die hier aber einen Russen beim Spionieren erwischen, dann gnadet ihm kein Gott. Im Vergleich mit einem Sowjetknast ist Stadelheim ein Dreisternehotel. Nicht vier, aber drei, ganz bestimmt. Und die Aussicht, erschossen zu werden, würde so einem wie dem Winterroth die Laune so richtig versauen, ganz bestimmt.«
    Henri starrte auf die Straße, ihn störte dieser Ausbruch, er war etwas, das man nicht tat, er fühlte einen Schmerz im Magen. Das Licht eines einsamen Fensters zerstreute sich im Nass der Straße. Was wollte Scheffer ihm sagen? Er spürte es mehr, als er es verstand, er konnte es nicht zu einem Gedanken formen.
    »Wir verleiten die Leute zum Selbstmord«, sagte Scheffer. »Im Namen der guten Sache. Demokratie und so weiter, Sie wissen schon. Henri, das plagt mich. Wenn ich einen von diesen armen Schweinen vor mir sehe – das sind sie doch, oder? –, dann kommt’s mir vor wie eine Begegnung mit einem Todgeweihten. Natürlich sind wir nie schuld, wenn einer erwischt wird. Dasreden wir uns auch ganz fest ein, und ist es nicht so: Die meisten kommen zu uns, aus eigenem Antrieb, auch Rache, Geldgier, weil sie in den Westen wollen. Sie werfen uns Zettel ins Auto, stecken Briefe in den Botschaftsbriefkasten, sprechen einen an. In Wahrheit sind wir die einzig Schuldigen. Wenn wir es nicht darauf anlegten, dann würden die nicht spionieren. Wenn wir denen nicht ihren Glauben an die Großartigkeit des freien Westens ließen, dann würden sie doch dieses Risiko niemals eingehen. Oder nur die, die auf Westgeld scharf sind. Es ist schon ein Scheißberuf.« Scheffer fuhr und fuhr, bog hier ab und dort und schwieg. Er hatte alles gesagt. Und Henri hatte verstanden.
    Dann standen sie vor dem Block, in dem Henri wohnte. Sie gaben sich fast wie nebenbei die Hand.
    »Du warst ja lange weg«, sagte Angela im Halbschlaf. »Hat’s sich wenigstens gelohnt?«
    »Ja, es war gut.«
    › ‹
    Die Reiseführerin erwartete Theo und die anderen in der Vorhalle des Flugplatzes. Sie

Weitere Kostenlose Bücher