Das Moskau-Spiel
den Kopf und sah sehr traurig aus.
»Was ist denn los?«, fragte die große Hübsche, die, wie Theo inzwischen erfahren hatte, Hertha hieß, ein Name, der weder zu ihr passte noch sonst wie zeitgemäß klang.
»Ich weiß nicht«, sagte Theo leise. »Ich weiß es wirklich nicht.«
»Hast Sie nicht erreicht, was?« Die Rothaarige.
»Nein.«
»Und nun?«, wollte Alda wissen. »Sollen wir da was regeln?«
»Um Himmels willen!«
»Mit dem Himmel haben wir es nicht so«, sagte Alda.
Theo dachte eine Weile sehr sichtbar nach, dann wandte er sich an Robert, der neben ihm saß. »Du kannst doch ganz gut Russisch?«
Robert hob seine Hände über dem Tisch und ließ sie wieder fallen.
»Besser als ich auf jeden Fall.«
Wieder eine Flugübung für Roberts Hände.
»Würdest du einen Anruf für mich machen?«
Die anderen hörten gebannt zu. Theo überlegte, ob er Robert in eine Ecke lotsen sollte, aber der würde es sowieso allen brühwarm erzählen, da konnte er seine Show auch vor Publikum abziehen.
»Ja, warum nicht. Wenn’s legal bleibt.«
Theo winkte ab. »Natürlich. Die Sache ist so: Sonja« – warum, verdammt, fiel ihm kein anderer Name ein? – »will mich heiraten und nach München kommen. Ihr Vater ist dafür, weil er glaubt, dass sie dort die besseren Aussichten hat. Die Mutter« – Theos Gesicht verwandelte sich in einen Trauerkloß – »aber sagt, dass sie sich umbringt, wenn Sonja ins Ausland geht. Die Mutter ist ein echter Drachen, für die ist Deutschland immer noch der Hort des Bösen, weil die Nazis ihre Eltern umgebracht haben.« Größte Betroffenheit am Tisch. Robert nippte an seinem Bierglas, aber nicht aus Durst.
»Der Vater ist Leiter der Moskauer Gerichtsmedizin, also ein ziemlich hohes Tier. Aber die Mutter lässt ihn gewissermaßen bespitzeln. Sie hat noch einige alte Genossen, die dort arbeiten. In der Sowjetzeit war sie Präparatorin« – Hertha verzog ein wenig angeekelt das Gesicht, auch Alda erbleichte in dem Maß, wie sie sich vorstellte, was eine Präparatorin in der Pathologie zu tun hatte – »und kennt noch Hinz und Kunz. Sie trifft sich auch noch mit Kollegen, und da wird natürlich alles breitgetreten, was so passiert. Also, wenn ich da anrufe …«
»Nein, das geht natürlich nicht«, sagte Hertha.
»Also, wenn Robert da anruft und sich zu dem Professor durchstellen lässt, irgendeinen Vorwand müssen wir noch finden, vielleicht zu einem Gespräch mit Journalisten über die großen Erfolge und das internationale Ansehen der russischen Pathologen, so was Nationalistisches kommt hier immer gut, also wenn er dem Professor was sagt wie etwa, der bekannte österreichische Journalist Georg Scheffer müsse ihn unbedingtsprechen, vielleicht könnten sie sich in der Tretjakow-Galerie treffen, vor einem bestimmten Gemälde, das er gerne bestimmen könne, damit sie sich bloß nicht verpassen …« Theo entwickelte, was er sich im Hotelzimmer zusammengereimt hatte. Der Ideenwust ordnete sich im Gespräch mit den anderen, doch je konkreter sein Plan wurde, desto kleinmütiger wurde Theo. Es war der pure Wahnsinn, ein solches Spiel mitten im Feindesland aufzuziehen, und dies mit Leuten, die gar nicht wussten, dass er sie benutzte, vor allem Robert, der solche Hinterlist schon gar nicht verdient hatte.
Aber ich habe keine Wahl.
»Und wer ist dieser … Gregor Schäfer?«, fragte Robert am Morgen beim Frühstück.
»Scheffer«, sagte Theo. »Das ist so ein Codewort. Das habe ich mit dem Professor vereinbart, damit wir an den Spitzeln vorbeikommen. Du musst nur anrufen, und sobald er dran ist, gibst du mir den Hörer und lässt mich allein – weißt du, was ich da mit dem Professor zu besprechen habe, ist mir schon ein bisschen peinlich. Das ist alles.«
»Codewort. Das ist ja wie beim Geheimdienst.«
Dann trennten sie sich von der Gruppe und stiegen die Treppe hinunter zur Telefonzelle in der Hotelhalle. Theo war unsicher, ob das Telefon abgehört wurde, aber dann stellte er sich vor, wie viele Menschen hier tagtäglich telefonierten und was für eine blödsinnige Verschwendung von Geld und Arbeitskraft es wäre, das ganze Geschwätz mitzuschneiden und auszuwerten. Zumal es nicht nur ein Hotel und nicht nur eine Telefonzelle gab. So etwas Verrücktes hatte nur die Stasi in Ostberlin getrieben.
Robert war jetzt doch unsicher. »Wie heißt der Professor noch mal?«
»Protossow.« Er schrieb es aus seinem Notizbuch ab und dazu die Telefonnummer und gab den ZettelRobert. »Ich
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