Das Moskau-Spiel
hielt ein Schild in der Hand, darauf der Name des Reiseveranstalters. Sie war recht groß, korpulent und hatte kurze schwarze Haare. Ihre roten Wangen leuchteten fast, und überhaupt schien sie aufgeregt zu sein. Sie stellte sich als Tatjana vor und führte die Gruppe zum Bus.
Die Fahrt ließ sie eintauchen in die Hektik einer Riesenstadt. Obwohl er gerade erst da gewesen war, überraschten Theo die Blechschlangen, die sich unendlich lang hinzogen, miteinander verflochten, sich gegenseitig aufhielten, Zusammenballungen schufen und wieder auflösten. Luxusschlitten und Klapperkisten schlichen ganz demokratisch in Richtung Innenstadt.
Tatjana stand vorne im Kleinbus und erläuterte, was sie am Anblick draußen für wichtig hielt, vor allem dieOlympiabauten, die der Stadt ein neues Gesicht gegeben hatten.
Robert saß neben Theo und staunte. Die Stadt veränderte sich in ungeheurer Schnelligkeit. Gebäude verschwanden, neue wurden hochgezogen, darunter Betonmonster von unübertrefflicher Hässlichkeit. Am Himmel braute sich grauschwarz ein Unheil in angemessener Dimension an, in das die Sonne hin und wieder gelbe Flecken einzeichnete, wie um den armen Opfern ein letztes Zeichen der Hoffnung zu senden. Aber es gab keine Hoffnung. Als hätte jemand den Stöpsel eines himmlischen Meeres herausgezogen, stürzte die Flut auf Moskau und verwandelte die Straßen in reißende Ströme. So ungefähr hatte sich Theo den Auftakt des Weltuntergangs vorgestellt. Vielleicht nicht ganz so mächtig.
»Boah!«, rief Robert. Der Bus war ins Wasser eingetaucht, und obwohl die Scheibenwischer hin- und herrasten, sah man nichts außer Wasser, als wäre der Bus in einem See abgesoffen.
»Wie gut, dass das nicht als Schnee gefallen ist«, sagte Tatjana.
So schlagartig wie bei einem tropischen Regenguss wurde der Stöpsel wieder ins himmlische Meer gesteckt. Langsam tuckerte der Bus vorwärts, die Straße war ein Fluss, die Gullys übergelaufen, auf den Bürgersteigen lehnten sich Menschen gegen den starken Wind, der nun aufkam, als sollte die Stadt mit dem großen Föhn getrocknet werden.
»Tja, alles der Klimawandel«, sagte Robert. »Und daran sind die Amis schuld.«
Alda lachte. »Nun krieg dich wieder ein.«
Aber Robert kriegte sich nicht ein, er hatte gerade erst angefangen. »Dieser Bush hat das Gegenteil von Klimapolitik gemacht, und jetzt ist der Schlamassel da. Moskau säuft ab, in Afrika wird alles zur Wüste, Europa darf die Deiche höher bauen, damit es nicht so endet wie New Orleans …«
»Nun hast du alles erklärt, danke«, sagte die Rothaarige, ohne ihr Buch zu senken. Sie klang sehr genervt. »Hoffentlich hat die Fahrerei bald ein Ende, ich will ins Hotel.«
Theo beobachtete, wie draußen Passanten das Wasser abschüttelten wie Hunde und gelassen ihren Weg fortsetzten.
Die Fahrt dauerte fast zwei Stunden, und als es schneller voranging, zischten die Reifen über den nassen Asphalt.
»Da ist es«, sagte Robert. »Da vorn.«
Ein Betonklotz tauchte auf, dann weitere. Vier Hotels nebeneinander. Sie kletterten aus dem Bus, und Tatjana führte sie zum Hoteleingang. Dort sammelte sie die Pässe ein und brachte sie zur Rezeption. Als sie zurückkehrte, gab sie jedem ein Papier, das, wie sie erklärte, als Passersatz diene. Theo fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, dass er Russland nur würde verlassen können, wenn er vorher seinen Pass an diesem Hotelempfang abgeholt hatte. Er zweifelte nicht im Geringsten, wer in Wahrheit nun seinen Pass verwahrte. Daran hatte er nicht gedacht. Er musste jetzt dafür sorgen, dass er mit der Gruppe abreiste oder sich eine wahnsinnig gute Ausrede einfallen ließ, wenn das unmöglich war.
Da drängte sich Paula in seine Gedanken und Ängste. Ja, sie würde er so gern wiedersehen. Und es kam ihm vor, als müsste er Jahre darauf warten. Er versuchte sich zu entsinnen, wie sie aussah, konnte sich aber nur ihre Augen vorstellen und ihre Figur. Vielleicht hätte ich Paulas Auftauchen als Zeichen sehen sollen, mich auf diese Verrücktheit hier nicht einzulassen. Zu Hause bleiben, mit ihr etwas unternehmen, sie für sich gewinnen, denn da lag noch etwas zwischen ihnen, auch wenn er nicht so genau wusste, was es war. Er wusste nur, dass er es wegschieben wollte. Unbedingt.
Als er endlich in seinem Hotelzimmer war, es gehörte zu den renovierten, was ihm den eigentümlichenCharme der Sowjetzeit ersparte, da stellte er sich ans Fenster, sah den Wald mit den goldglänzenden Kuppeln der Kirche und
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