Das Moskau-Spiel
ganz hinten die riesigen Betonblöcke einer Trabantenvorstadt, in der die Menschen zusammengepfercht wurden, um morgens zur Arbeit ausgespuckt und abends müde wieder aufgesaugt zu werden. Er war einmal in einer solchen Wohnung gewesen, hatte einem russischen Pförtner die Genesungsgrüße des Botschafters überbracht, von denen der gewiss gar nichts wusste, und den Mann gesehen, der sich wegen des hohen Besuchs aus dem Bett in einen löchrigen Sessel in einem Zimmerchen gequält hatte, und seine Frau, die in der winzigen Küche mit Rissen in der Fensterscheibe Tee kochte. Von oben nervte das Getrampel von Kindern, rechts nebenan wetteiferte ein Fernsehgerät mit einem Radio links nebenan, wer am lautesten dröhnte. Es zog, weil die Wohnungstür und die Fenster nicht richtig schlossen, aber das hatte Theo schon gewusst, als er mit dem verschlissenen Aufzug in den siebten Stock gefahren war in der Hoffnung, dass ihm jemand öffnen würde, da es eine Gegensprechanlage nicht gab und er sich im Graffiti-verschmierten und verdreckten Treppenhaus fremder fühlte als im Dschungel von Papua-Neuguinea.
Während er seinen Koffer ausräumte, fiel ihm ein, was Klein auch noch gesagt hatte. »Das Foto ist keine Fälschung, also wurde, wenn jemand was gedreht hat, die Leiche bearbeitet.« Sein Gesicht war so freudlos gewesen wie immer, grau und ausdruckslos. »Die ist aber zu Asche zerfallen, was den Verdacht womöglich verstärkt, dass sie die Leiche drapiert haben, bevor sie fo tografiert wurde, aber wir können es nicht nachweisen. Wir« – er hob die Stimme kaum merklich, als er »Wir« sagte – »haben es vermasselt und daher keine Chance mehr, die Sache aufzuklären.« Es klang so wie: Sie ha ben es versaut, die Russen haben uns vorgeführt, vielen Dank für die vorzügliche Arbeit. Und Theo fiel nun wie der ein, während er die Socken im Schrank verstaute, dass Klein ihn nach Moskau geschickt hatte, ihn, den Mann ohne Erfahrung. Und dass er immer noch nicht begriffen hatte, warum. Er hätte ihn fragen sollen. Oder besser nicht. Denn Klein hätte antworten können, was er wollte. Theo hätte ihm nicht geglaubt. Nicht einmal die Wahrheit.
Er duschte, dann machte er sich auf dem Bett lang und marterte sein Hirn. Seit er beschlossen hatte, die Sache mit Scheffer nicht auf sich beruhen zu lassen, grübelte er, wie er es anpacken sollte. Seine Lektion im Fach Naivität hatte er gelernt, bildete er sich zumindest ein. Wenn er Kontakt zu Sonja aufnehmen würde, dann würde die das dem FSB melden und er würde hochkant hinausgeschmissen. Im günstigsten Fall, es konnte auch übler kommen. Einen Augenblick erwog er die Idee, Sonja unter Druck zu setzen, ihr Gewalt anzudrohen. Er wäre dazu bereit, sein Zorn reichte aus, aber es fiel ihm nichts ein, wie er Sonja daran hindern könnte, zum FSB zu laufen und alles brühwarm zu berichten.
Und doch war sein einziger Ansatzpunkt die Gerichtsmedizin. Wenn die Leiche manipuliert worden war, dann höchstwahrscheinlich dort. Es musste demnach andere Mitarbeiter geben, die informiert waren. Oder? Musste es das wirklich?
Je länger er darüber nachdachte, desto überzeugter war er, dass es jemanden geben musste. Nur, wie sollte er den finden? Und warum sollte der Theo etwas verraten? Was hatte er davon?
Theo ging noch einmal seine Kontakte in Moskau durch. Er schüttelte den Kopf auf dem Kissen. Niemand würde ihm helfen, sie würden ihn bei der ersten Frage in die Mangel nehmen.
Eine Idee drängte sich auf, ganz langsam sickerte sie in seine Gedanken. Dass er darauf nicht früher gekommen war! Es war der einzige halbwegs vernünftige Ansatz. Er analysierte noch einmal, was er in der Gerichtsmedizin erlebt hatte. Wie Sonja ihm erklärt hatte, warum sie seine Ansprechpartnerin sei. Wenn man ihre Behauptungen mit ihrem Betrug zusammenbrachte, sie einander gegenüberstellte in einem Gedankenexperiment, dann war eine andere Erklärung wenigstens genauso folgerichtig. Und nun hatte Theo einen Ansatzpunkt, auch wenn seine Angst wuchs, was das für ihn bedeuten würde. Eigentlich konnte es nur schiefgehen.
Sonja hatte gelogen, dass sich die Balken bogen. Warum sollte er ihr in diesem Punkt glauben? Vielleicht war der Professor gar kein Feigling?
Abends saßen sie in einem der Hotelrestaurants. Theo war etwas später gekommen, bereitwillig machten die anderen Platz, damit er einen Stuhl an den Tisch schieben konnte. »Na, die große Liebe schon angerufen?«, fragte Alda.
Theo schüttelte nur
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