Das Moskau-Spiel
die mit einem Schlag zu Milliardären geworden waren, was aber nie aufgeklärt würde, da Putin seinem Vorgänger Straffreiheit versprochen hatte, um einen Machtkampf zu verhindern, wobei sich Eblow immer noch fragte, wer da hätte um was kämpfen wollen. Und dieser Italiener, der sollte sich um die Umtriebe seines pomadigen Regierungschefs kümmern, in Russland hatten solche Schnüffler nichts zu tun. Obwohl, dachte Eblow, vielleicht wäre es manchmal nicht so übel, einer würde den Saustall mal richtig ausmisten, sodass nichts blieb, wie es war. Durchgreifen. Was konnte es Wichtigeres geben als Russlands Größe? Daran hatte sich nichts geändert. Und er, Generalleutnant Eblow, hatte sein Scherflein dazu beigetragen, dass Russlandnicht noch kleiner geworden war, damals, als es um alles ging.
Seine Gedanken schweiften oft ab, wenn er sich mit so langweiligem Zeug befassen musste wie diesen Berichten.
Doch dann änderte sich mit einem Schlag alles. Er rieb sich die Augen und las noch einmal, was er fast gelangweilt umgeblättert hätte, weil er überzeugt war, wieder einmal zum Opfer eines übereifrigen Grenzbeamten zu werden. Aber da stand es, schlecht lesbar, weil schlampig geschrieben, aber eindeutig und bestätigt durch die Kopie des Passes, die dem Formular angehängt war. Theo Martenthaler war wieder in Russland eingereist, diesmal als Tourist, als Mitglied einer Reisegruppe aus München. Was bedeutete das? Er war doch gerade erst in Moskau gewesen. Henris Sohn, ob er genauso schlau war wie der Alte, genauso gerissen und vor allem genauso mutig? Hatten sie ihn unterschätzt? Er musste doch wissen, dass er nicht unregistriert einreisen konnte. Aber dass er als Tourist kam, nachdem sie ihn hereingelegt hatten, war unwahrscheinlich. Oder hatte er sich in Sonja verliebt? Sie hatte ihn ja nicht übel gefunden und schien es fast zu bedauern, dass sie mitgespielt hatte.
Ob er trotzdem etwas herausgefunden hatte? Eblow hatte Henri gemocht. Henri hatte gute Ideen gehabt, wahrhaftig. Sympathisch war er auch, obwohl er nie ganz in sich hineinschauen ließ, es blieb immer eine Distanz. Aber Eblow hatte ihm auch nicht alles erzählt, aber mehr als fast allen anderen, außer Rachmanow. Mit dem alten Freund musste er dringend reden. Er würde ein paar Delikatessen einkaufen, die Rachmanow sich schon lange nicht mehr leisten konnte, und ihn bei sich zu Hause besuchen. Wie lange hatte er ihn schon nicht mehr gesehen? Ein halbes Jahr, vielleicht ein ganzes. Aber jetzt musste er mit ihm reden, weil Rachmanow ein kluger Kopf war und wusste, was damals geschehen war.
Vielleicht würden sie zu der Entscheidung kommen, dass Theo Martenthaler sterben musste. Das würde Eblow bedauern, schon weil er Henri keinen Schmerz zufügen wollte. Aber manchmal ging es nicht anders.
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Eine Besuchergruppe schleppte sich vorbei, an der Spitze eine dieser ununterbrochen redenden Reiseführerinnen, mit einer schrillen Stimme, die mit ein bisschen Glück Risse in die Wände hätte ziehen können. Theo schaute der Gruppe nach und dann wieder auf die Uhr. Magen und Darm drohten jeden Augenblick zu rebellieren, die Ikone des Demetrius von Saloniki spendete nicht den geringsten Trost. Man muss fest dran glauben, dachte Theo. Aber dieser Glaube geht mir ab, und wenn ich so täte, Demetrius würde es mir nicht abnehmen. Jetzt schaute er schon richtig komisch, als rümpfte er die Nase über diese weltlichen Machenschaften, über denen ein Märtyrer quasi von Amts wegen stand. Nein, Demetrius mit dem halb gezückten Schwert würde ihm nicht helfen.
Er war völlig verrückt. Das fiel ihm jetzt ein, aber nun war es zu spät. Wenn das FSB etwas wusste, lauerten sie schon an allen Ecken und er käme nicht mehr weg. Nicht den Hauch einer Chance. Am wahrscheinlichsten war, dass der Professor nicht verstanden hatte, was Theo ihm sagte, oder dass er es nicht verstehen wollte. Jetzt war Theo ganz sicher, dass seine Gehirnakrobatik ihm einen Blödsinn aufgedrängt hatte. Mit Logik hatte das nichts zu tun. Seit wann hat menschliches Handeln mit Logik zu tun? Wenn Sonja das sagte oder jenes tat, was sagte es aus über das, was der Professor dachte? Welche Rolle er spielte in diesem Versteckspiel mit beliebig vielen Unbekannten?
Wieder eine Gruppe, die sich dem Demetrius widmen wollte. Es waren Russen auf Besuch in der Hauptstadt,die Reiseführerin, eine kleine, zarte Frau mit erstaunlich fester Stimme und einem Dutt auf dem schwarzhaarigen Kopf, referierte
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