Das Moskau-Spiel
eingetrichtert. Und trichterten es Geheimdienstausbilder in allen Ländern ihren Schülern ein. Und trotzdem, obwohl es alle wussten, funktionierte es.
Er schaute sich um, er war irgendwo in der Stadtmitte, es musste sich doch etwas finden lassen. Er lief geradeaus, bis er endlich ein Textilgeschäft fand, Damen- und Herrenbekleidung. Theo drückte die Glastür auf, die Wärme schlug ihm entgegen. Er war der einzige Kunde, eine elegant gekleidete Frau mittleren Alters mit blond gefärbten Haaren und einem beeindruckenden Dekolleté lächelte ihm entgegen. Sie tat so, als würde sie sein verschwitztes Gesicht nicht wahrnehmen. Er erklärte ihr, dass er einen Anzug und einen neuen Mantel suche, auch eine Mütze. »Gegen die Kälte, wissen Sie.«
Natürlich wusste sie es. Sie nahm mit den Augen Maß, dann deutete sie in die Herrenabteilung, die aus einer Hälfte des kleinen Raums bestand. Theo zwang sich, das Angebot ganz ruhig zu prüfen, und während er es tat, stellte er sich vor, wie Miliz und FSB die Jagd auf ihn organisierten. Sein Herz klopfte, sie musste es doch hören. Er entschied sich für einen schlichten grauen An zug aus Wolle, kaufte auch ein dunkelblaues Hemd und eine schwarze Mütze mit Ohrenschützern, die er tief ins Gesicht ziehen konnte. Er probierte die Sachen an, fand schnell die richtigen Größen und behielt sie gleich an. Die Akte stopfte er sich wieder unters Hemd. Die Blonde verpackte ihm die alte Kleidung mit einem fast herzlichen Lächeln in eine riesige Einkaufstüte, und er bezahlte nach einem kurzen Zögern mit seiner Kreditkarte. Draußen erwarteten ihn die Kälte und eine weitere Steigerung der Angst.
Er mischte sich in eine Menschentraube, die auf Kleinbusse wartete, entdeckte eine Mülltonne und ließ seine Einkaufstüte darin verschwinden. Dann marschierte er weiter, zwang sich, erst einmal nur nach vorn zu schauen, bis er an eine Ecke kam, die es ihm erlaubte, nach hinten zu sichern.
Was war die nächste Regel? Zur Ruhe kommen, nachdenken. Er lief weiter, folgte einem Menschenstrom, begegnete einem Menschenstrom. Dann wurde es ruhiger auf den Bürgersteigen, die Leute hasteten nicht mehr in Herden umher, sondern wurden Individuen, manche schlenderten, flanierten. Zwei Frauen, untergehakt, mit Einkaufstüten, lachend, gewiss auf dem Weg zum zweiten Frühstück. Er musste etwas essen, dringend. Und etwas trinken. Er sah es schon von Weitem, ein Kino. Noch einmal wechselte er die Straßenseite, schlug ein paar Haken, beobachtete vor einem Schaufenster die Straße, fand aber keinen Verfolger. Außerdem, dachte er, warum sollten sie dich verfolgen? Sie würden ihn gleich verhaften. Oder suchten sie seinen Unterschlupf, witterten sie den Verräter?
Nachdem er auf Umwegen das Kino erreicht hatte, stellte er fest, dass es keine Frühvorstellungen gab. Das Kino öffnete erst am Abend. Aber der Kartenschalterwar schon besetzt, er kaufte eine Karte für einen Amischinken, den er nie sehen würde, und überredete die alte Dame, zum Tresen zu gehen und ihm sechs Schokoriegel und eine Flasche Mineralwasser zu verkaufen. Er verließ das Kino, setzte die Flasche an, steckte sie danach in seine Manteltasche und aß den ersten Schokoriegel. Er zwang sich, langsam zu essen, und während er ging, überlegte er, was er tun sollte.
Eine Reihe von kleinen Läden, Getränke, Zigaretten, Konserven, Zeitungen, Zeitschriften. Als er die Zeitungen sah, fiel ihm ein, dass sie ihn womöglich zur Fahndung ausschreiben würden, vielleicht mit Bild im Fernsehen und den Moskauer Blättern. Er unterdrückte die Panik, die nach ihm griff. Am Straßenrand eine Gruppe von Pennern mit Hunden, sie mussten entsetzlich frieren, ihre einzige, tückische Heizung war der Schnaps.
Plötzlich wusste er, wo er war. Da standen Puschkin und Gontscharowa fast direkt vor ihm und schauten auf das ehemalige Haus des großen Dichters am Arbat. Das Denkmalpaar war mit Puderzucker bestreut, Nataljas Nase versteckte sich unter einem weißen Häubchen. Schnee. Er ging weiter und sah endlich ein Café, es hatte geöffnet. Er drehte wieder eine Runde um sein Ziel, um Verfolger zu erkennen oder wenigstens irrezuführen. Aber da war nichts, was ihn erstaunte, aber auch verunsicherte. Der Magen schmerzte, es biss und kniff in Wellen. Er ging ins Café, billige Einrichtung aus Plastik und Stahl. Glasvitrinen für Gebäck, Kuchen und Getränke. Er ließ sich am Tresen von einer mies gelaunten Brünetten mit viel zu viel Schminke im Gesicht
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