Das Moskau-Spiel
mit grauen Masken. Außenminister Gromyko, der Haudegen, der alle überlebt hatte und bald Vorsitzender des Obersten Sowjets würde, Verteidigungsminister Sokolov, gerade erst ein paar Monate im Amt, Jakowlew, Mitglied des Politbüros und ZK –Sekretär, Gorbatschows Vertrauter. Und der neue Generalsekretär, im Vergleich zu den anderen ein junger Mann, beweglich der Körper und der Geist.
Tschebrikow musterte ihn immer mal wieder, wie um sich zu vergewissern, dass es sich wirklich um den Generalsekretär handelte, dieser Mann, der viel zu kurz in der Parteiführung saß und der viel zu schnell aufgestiegen war. Der Vorsitzende des KGB war ein sachlicher, ruhiger Mann, der es gelernt hatte, sich nichts anmerken zu lassen. Doch das fiel ihm schwer bei diesem Gorbatschow, der so anders klang als seine Vorgänger. Nicht dass man ihm etwas hätte unterstellen können, keine ideologische Abweichung, aber da war etwas, was sich vielleicht in ein paar Jahren zeigen würde. Natürlich wusste Tschebrikow Bescheid über die düstere Lage der sowjetischen Wirtschaft, über den Niedergang der Wissenschaften, die Verrottung der Infrastruktur. Darauf hatten seine Tschekisten oft genug hingewiesen. Die Partei musste etwas tun, um die Stagnation zu überwinden. Aber sie durfte nichts tun, das die Macht gefährdete. Der Zusammenbruch beginnt immer mit einem kleinen Riss im Fundament.
»Und warum sollte der westdeutsche Geheimdienst den Genossen Tschernenko ermorden wollen?«, fragte Jakowlew.
Dieser Emporkömmling, dachte Tschebrikow, der pfeift dem neuen Generalsekretär die Flausen in den Kopf. Und dieser Mann ohne Erfahrung, der glaubt ihm das. Tschebrikow schaute auf das große Leninporträt in der Mitte der Wand hinter dem Schreibtisch Gorbatschows. Wenn der Alte wüsste, wenn Stalin wüsste, was nach ihnen gekommen war. Chruschtschow, der Dilettant, Breschnew, der das Chruschtschow-Chaos beendete, aber dann das Land erstarren ließ, Andropow und Tschernenko, ach, was soll man über diese Genossen sagen?
Tschebrikow schaute grau in die Runde. Blickte noch einmal zu Lenin, was seine Resignation nur verstärkte. Es war doch klar, warum sie den erfahrenen, kampferprobten Genossen Tschernenko ermordet hatten. Damit dieserJungspund, der noch grün hinter den Ohren war, drankam. Das hatten sie sich gut ausgerechnet, die da drüben. Er musste ihnen seine Bewunderung zollen. Sie wollten die Sowjetmacht totrüsten, und sie hatten den Mann beseitigt, der sich dem entgegengestemmt hatte. Der die Partei eisern auf der richtigen Linie gehalten hatte. Was sollte er nun tun? Seine Aufgabe war es, die Sowjetmacht zu schützen vor offenen und vor versteckten Angriffen. Aber die Führung in ihrem Kampf hatte die Partei, ihr Politbüro, und dem hatte er sich zu beugen. Kommt Zeit, kommt Rat, dachte er. War das nicht ein deutsches Sprichwort?
»Es war wohl ein konzertierter Angriff des Imperialismus. Die Amerikaner haben ihre Satrapen vorgeschickt. Die Westdeutschen sollten beweisen, dass auf sie wieder Verlass ist«, sagte Sokolov.
Er war schon alt, obwohl er gerade erst Minister geworden war. Tschebrikow verstand, dass sie es überzogen hatten, dass Erfahrung nichts mehr taugte, wenn die Senilität sie auffraß. Wir müssen künftig ein gesundes Verhältnis zwischen Erfahrung und Vorwärtsdrang finden, da haben wir uns ein wenig ausgeruht.
»Nein«, sagte Tschebrikow, »dafür finden wir keine Hinweise. Es waren die Westdeutschen, dieser« – er schaute in seine Notizen – »Henri Martenthaler, ein Agent des BND . Die wollten dem großen Bruder viel leicht vorführen, zu was sie in der Lage sind. Aber das glaube ich nicht. Der Genosse Wolf hat mir noch heute früh versichert, dass seine Quellen keinerlei Informatio nen haben über eine große Operation des BND gegen unsere Parteiführung. Er sagt, unsere Genossen in den feindlichen Organen schließen diese Möglichkeit kate gorisch aus.« Er schloss die Augen und dachte an Zeiten, in denen es leichter gewesen war, Verräter zu über führen. »Die Amerikaner haben damit nichts zu tun. Das wissen wir .« Er blätterte in seinem Notizblock. »Genos sen, es gibt, wenn man die Tatsachen zusammenfügt, nur einen Schluss: Wir haben eine Verschwörung in der Partei und den Staatsorganen …«
»Wir sollten, werter Viktor Michailowitsch, keine voreiligen Schlüsse ziehen«, warf Gorbatschow nachdenklich ein.
»Genosse Generalsekretär, es gibt unbestreitbare Fakten: Erstens, die Amerikaner
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