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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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dem Reis, dem Zucker und den Nudeln und sogar dem Besteck.
    Henri setzte sich auf den Sessel, fast verwundert, dass sie dessen Polster nicht aufgeschlitzt hatten.
    »Mein Gott, was ist denn hier los?« Sie stand in der Tür, hob beschwichtigend die Hände, dann legte sie sie an die Wangen. »Ich wollte …« Dann war sie still.
    Er saß, sie stand, und sie betrachteten schweigend das Chaos. Dann ging sie unsicher zu ihm, berührte wenige Augenblicke seine Schulter und stellte sich dann vor ihn.
    »Was willst du machen? Die Miliz?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Was dann?«
    »Aufräumen«, sagte er.
    »Was haben sie gesucht?«
    Er hob die Arme und ließ sie wieder sinken. Nichts haben sie gesucht, dachte er, auch wenn sie einen Zufallsfund dankbar abgestaubt hätten. So durchsucht man eine Wohnung nur, wenn man das Opfer ängstigen will. Sie machen Druck. Sie wissen, dass ich abgezogen werde, natürlich wissen sie es. Irgendeiner dieser Achtgroschenjungs des Genossen Mielke wird es den Moskauern schon gepfiffen haben. Da kennen die nichts, Lob vom Genossen Tschebrikow, das ist etwas Großartiges.
    »Die müssen doch etwas gesucht haben! Ich hol die Babuschka!« So nannte sie die Aufsichtsfrauen und machte aus ihnen eine einzige virtuelle Person.
    »Nein«, sagte er.
    »Doch!« Sie verschwand.
    Nach ein paar Minuten kehrte sie mit einer alten Frau in einer knittrigen grünen Uniform zurück, an den Füßen trug sie Pantoffeln, in der Hand einen Schlüsselbund. Ihre schwarzen Haare sahen aus wie verfilzt. Aber ihre kleinen braunen Augen waren wach. Ihre Pupillen wanderten hektisch durch die Wohnung, dann schüttelte sie heftig den Kopf und wollte gehen. »Ist hier jemand hereingekommen, den Sie nicht kennen?«, schnauzte Angela. Henri hatte sie noch nie so aufgebracht erlebt. Die Babuschka ließ die Augenlider zittern, dann sagte sie mit dunkler, brüchiger Stimme. »Nein, niemand.«
    »Aber irgendwie müssen die doch hereingekommen sein. Bestimmt zwei, vielleicht drei.«
    Seltsam, dachte Henri, wie kommt sie darauf, dass es mehr als einer war? Einer würde das doch auch schaffen. Aber irgendwie hatte sie recht, denn ein solches Chaos sah einfach nach mehreren Verursachern aus.
    »Es ist niemand gekommen, den ich nicht kenne.«
    Da sagt sie immerhin die Wahrheit, dachte Henri. Und fragte sich, was die Lauscher darüber dachten. Wahrscheinlich waren es stupide Apparatschiks, gerade klug genug, um Tonbänder zu bedienen. Und vermutlich dachten sie an ihre Frauen oder Freundinnen, an das letzte oder nächste Eishockeyspiel. Merkwürdig, dachte Henri, das blöde Foto vom Roten Platz hängt noch an der Wand.
    Da Henri sie nicht beachtete und auch Angela die Fragen ausgegangen schienen, schlurfte Babuschka hinaus, ohne sich den Schaden wirklich angesehen zu haben. Als sie verschwunden war, stand Henri auf und hängte das Foto von der Wand. Sie hatten die Wanze auf der Rückseite am Rahmen angeklebt. Henri lächelte.
    »Was ist das?«
    »Ungeziefer«, sagte Henri, nahm das Gerät, warf es auf den Boden und trat fest darauf. Er hätte sich gern vorgestellt, wie jetzt ein KGB – Lauscher schmerzhaft das Gesicht verzog und in den kommenden Tagen un ter Pfeiftönen im Ohr litt, aber wahrscheinlich hatten sie es sich erspart, das Lauschgerät anzuschließen. Er nahm ein Blatt Papier und einen Stift vom Fußboden und schrieb darauf: Wir werden abgehört. Wir tun so, als wären es stinknormale Einbrecher. Dann deutete er auf die Wand und anschließend auf sein Ohr und hoffte, dass sie nicht auch Kameras eingebaut hatten. Er zeigte ihr den Zettel und legte den Zeigefinger auf die Lippen. Sie starrte auf das Papier und verzog das Gesicht zu ei ner Miene, die äußerste Genervtheit ausdrückte. Dann begannen sie schweigend aufzuräumen.
    Als sie das Schlimmste erledigt hatten, sagte Angela: »Dass es in der Sowjetunion Einbrecher geben würde, hätte ich nicht gedacht. Ich habe immer geglaubt, die hätten die Kriminalität besiegt.«
    Er konnte schon wieder grinsen, jedenfalls für ein paar Sekunden.
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    Oberst Kusnezow stand im Ruf, streng und humorlos zu sein, keinen Wodka zu trinken und überhaupt das Leben eines vorbildlichen Sowjetbürgers zu führen. Gewiss hatte er es nie versäumt, dem Aufruf zum Subbotnik zu folgen, hatte an jeder Demonstration zum 1. Mai teilgenommen und bei Solidaritätssammlungen angemessen gespendet. Genauso sicher schien es Eblow, dass der Mann nie fremdgegangen war und dass seine Tochter und sein

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