Das Moskau-Spiel
Sohn mit glänzenden Zeugnissen die Grundlage einer großartigen Karriere legten, die vielleicht sogar die des Vaters noch übertreffen würde.
Aber womöglich tat der Mann nur so und soff und hurte heimlich, fragte sich Eblow. Das Einzige, was ihm sicher schien, war die Tatsache, dass Kusnezow für Eblow nun der gefährlichste Feind geworden war, ohne dass der Oberst es auch nur ahnte.
Eblow stand vor dem leer gefegten Schreibtisch desObersts, die Tischplatte glänzte fast wie ein Spiegel, und Kusnezow stand dahinter, mit geradem Rücken, fast in Habachtstellung, als wirkte die Ehre noch nach, von Tschebrikow angesprochen und beauftragt worden zu sein.
»Wir haben hier eine Kopie des Flugscheins«, sagte Kusnezow ganz ruhig. »Martenthaler fliegt heute Abend, um neunzehn Uhr fünfzehn, mit der letzten Maschine nach Frankfurt und von dort nach München. Wir müssen damit rechnen, dass er sich frühestens um sechzehn Uhr nach Scheremetjewo fahren lässt. Aber der Mann weiß womöglich, dass wir hinter ihm her sind, oder er vermutet es vielleicht. Würde mich nicht erstaunen, wenn die Verräter bei uns ihn gewarnt hätten.«
Kam es Eblow nur so vor, oder musterte ihn der Oberst in diesem Augenblick besonders scharf?
»Ihre Genossen sind ja an ihm dran?«
»Ja, Genosse Oberst. Wir überwachen ihn vierundzwanzig Stunden am Tag. Wir werden die Überwachung verschärfen. Ich glaube nicht, dass er etwas weiß. Daher finde ich, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, die Wohnungsdurchsuchung nicht hilfreich.« Fast hätte er sie saudumm genannt. »Denn so wurde Martenthaler gewarnt. Wenn er der ist, für den wir ihn halten müssen, also ein erfahrener Feldagent, dann wird er die Durchsuchung als Warnung verstehen. Er wird nichts Verräterisches mehr sagen in seiner Wohnung und auch nicht in der Wohnung dieser Frau.«
Kusnezow hörte die Kritik, ohne eine Miene zu verziehen. Hier ging es um eine Sache, der Oberst war außerordentlich sachlich. Es zählte nur das Ergebnis.
»Ich will es Ihnen gerne erklären, Kasimir Jewgonowitsch.« In seiner Stimme war unendlich viel Geduld. »Wir müssen ihn nicht mehr abhören. Er kann sagen, was er will, morgen Abend sitzt er hier im Keller und wird sprechen. Vorrangig war es, ihm Angst einzuflößen. Unsere Botschaft lautet: Du bist nirgendwo mehrsicher, nicht mal in den eigenen vier Wänden. Wir sind überall. Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass dieser Mann die Botschaft versteht. Er wird, trotz aller Erfahrung und obwohl er offenbar ein eiskalter Hund ist, Angst bekommen. Er wird schlecht schlafen, und er wird Mühe haben, seinen Fluchtinstinkt zu beherrschen. Er weiß, er kommt nicht aus Moskau heraus, wenn wir ihn nicht herauslassen. Und er weiß auch, dass er uns nicht in die Hände fallen darf. Unser rachsüchtiger amerikanischer Freund hat uns genug gesagt, um Martenthaler scharf zu verhören. Ich vermute, dass dieser Herr sich das zusammenreimen kann, wenn er so schlau ist, wie Sie behaupten.«
Ich hatte es nicht behauptet, dachte Eblow. Aber es stimmt. Martenthaler war klug und unnahbar. Ein kalter Verstand auf zwei Beinen. Kusnezow hatte recht, sie mussten ihn nicht mehr abhören, zumal sie davon ausgehen konnten, dass er es wusste. Er würde jetzt nichts sagen, das ihn verriet. Aber er würde schlecht schlafen. In der Tat, das würde er.
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XV .
Als Theo in den Schnee gekommen war, ging er zur Metrostation Arbatskaya und stieg an der nächsten Station um in den Zug zur Komsomolskaya. Tschernenkos Krankenakte drückte am Bauch. Die Bahnhöfe und die Züge waren bevölkert, obwohl der Berufsverkehr längst abgeflaut war. Er fand einen Sitzplatz und schaute sich um. Niemand schien sich für ihn zu interessieren, Uniformierte waren auch nicht zu sehen. Offenbar brauchten sie ihre Zeit, um die Fahndung zu entwickeln. Er fühlte sich unendlich müde, und doch zwang er sich, weiter über den Plan nachzudenken, der sich auf einmal in seinem Kopf festgesetzt hatte. Es gab nur eine Möglichkeit, aus Russland herauszukommen, und die würde er, wenn überhaupt, am Kasaner Bahnhof finden.
Es war muffig und überheizt. Jetzt fror er nicht mehr, sondern begann zu schwitzen. Ihm gegenüber saßen zwei harte Typen im militärischen Kurzhaarschnitt, aber ohne Uniform. Sie wechselten hin und wieder ein paar Worte, der eine drehte sich eine Zigarette. Theo wurde unwohl. Ob sie einem solche Gestalten nachschickten, kräftige, gut gebaute Schlagetots? Ob Scheffer von solchen
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