Das Moskau-Spiel
Das KGB gab es nicht mehr, die Sowjetunion auch nicht, den mächtigen Warschauer Pakt hatten die meisten längst vergessen. Was, verflucht, war passiert? Was konnte Scheffer angestellt haben, das noch nach so langer Zeit seinen Tod bedeutete? Vielleicht war das eine brauch bare Arbeitshypothese. Er würde nachsehen, was Scheffer in München hinterlassen hatte, und dann nach Mos kau reisen, um dort nach den Spuren des alten Manns zu suchen. Da konnte er gleich prüfen, ob der Grund nicht bei Scheffers zweitem Aufenthalt entstanden war. Er beschloss, nicht weiter zu grübeln, sondern erst ein mal die Unterlagen des Toten anzuschauen. Womöglich war alles ganz einfach.
Aber, verdammt, warum hatte Klein ihn zu Henri geschickt? Was wusste Klein, und wenn er etwas wusste, warum rückte er nicht heraus damit? Wollte er sich alle Möglichkeiten offenhalten? Blöde Frage, welche Möglichkeiten? Jetzt grübelst du doch wieder. Die Erklärung war bestimmt ganz einfach: Klein konnte nicht ausschließen, dass Scheffers Tod etwas mit dessen Moskau-Aufenthalt in den Achtzigern zu tun hatte. Und wer war in dieser Zeit auch in Moskau? Henri.
Er hielt an einem Rasthaus, um einen Kaffee zu trinken. Am Eingang war ein Parkplatz frei. Er stieg aus und fröstelte gleich. Es war mehr die Müdigkeit als die Kälte. Drinnen saßen kaum Leute, in der Raucherecke las ein Mann Zeitung, Qualm stieg auf. Nachdem Theo einen Automaten überredet hatte, ihm Kaffee in einen Becher zu schütten, bezahlte er bei einer mürrischen Rasthausbediensteten und setzte sich an einen Nichtrauchertisch ans Fenster. Draußen rasten Lichtkegel vorbei.
Dann kroch ihn eine Erinnerung an, sie stieg tief aus dem Untergrund seines Bewusstseins. Henri hatte ihm etwas erzählt, eine Art Abenteuergeschichte, vielleicht weil ihm nichts anderes einfiel. Was war das noch mal? Ja, Henri habe in Moskau fliehen müssen. Stimmte das, oder hatte der Vater es erfunden? Es klang irgendwie echt, und im Geschichtenerfinden war Henri kein Meister. Wie alt war ich damals? Theo grübelte, aber er konnte es nicht genau bestimmen. Auf jeden Fall nach dem die Eltern sich getrennt hatten. Egal, was war das für eine Geschichte gewesen? Henri auf der Flucht im fernen Moskau, das böse KGB an den Hacken. Sie woll ten Henri kriegen, um ihn in einem finsteren Keller einzusperren. Weil Henri der Gute war und ein Geheimnis nicht preisgeben wollte. Ein Agent verrät kein Geheimnis. Und Henri rannte um sein Leben. Theo überlegte, ob Henri gesagt hatte, dass sie ihn in dem Verlies umbringen wollten, denn wie kann man um sein Leben rennen, wenn das gar nicht gefährdet ist. Nein, Henri sagte, Theo hatte es jetzt im Ohr: »Ich rannte um mein Leben.« Seltsam, dachte Theo, dass mir das jetzt einfällt. »Ich rannte um mein Leben.«
»Und wie hast du es geschafft?«, hatte der Junge aufgeregt gefragt.
»Ich habe mir gesagt, geh dahin, wo die meisten Menschen sind. Tauch unter, wo am meisten los ist. In U-Bahn-Stationen zum Beispiel, aber da haben sie immer kontrolliert, vor allem die Zugänge, das war gefährlich. Also bin ich in das große Kaufhaus gegangen, da waren immer viele Leute. Und dann habe ich mir einen russischen Mantel gekauft und eine russische Mütze, um nicht auszusehen wie ein Westler. Die fielen in Russland sofort auf. Und in dem großen Kaufhaus, dem GUM , habe ich mich erst mal eine Weile versteckt.«
»Und dann?« Eine atemlose Frage.
Aber Henri antwortete nicht.
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III.
Man hätte ihn für einen dieser Geschäftsmänner halten können, so um die vierzig. Er zeigte seine Bordkarte und ging dann zielstrebig in den Rüssel hinein, der das Gate mit der Boeing 707 verband, die ihn vom John-F.-Kennedy-Flughafen in New York nach Frankfurt am Main bringen würde. Der Mann wusste, was er wollte, man konnte es ihm ansehen. Von Frankfurt würde er mit Aeroflot nach Moskau weiterfliegen, ins Herz des Sowjetimperiums. So stand es auf seinem PanAm-Ticket.
Craig Mavick trug einen grauen Anzug, als Handgepäck genügte ihm eine elegante Aktentasche, in deren dunkelbraunem Leder Striemen und Flecken bezeugten, dass sie schon oft auf Reisen gewesen war. Mavick hatte fast militärisch kurz geschnittene dunkelblonde Haare, war glatt rasiert, und die Stewardessen würden bald bemerken, dass er ein dezentes, teures Rasierwasser benutzte. Sein beiger Kamelhaarmantel war von erlesener Qualität, und als er ihn in der Kabine auszog, um ihn lässig ins Gepäckfach zu stopfen, wurde ein
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