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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Moskau hatte er richtig mit der Trinkerei angefangen und sich rasend schnell daran gewöhnt. Obwohl, das stimmte nicht. Er hatte schon vorher jeden Abend Hochprozentiges getrunken, aber in Russland war es viel mehr geworden, auch weil fast alle dort selbstverständlich schon mittags tranken, und er hatte sich gern anstecken lassen. Ein Wodka vor dem Mittagessen, vielleicht auch zwei, und einen danach. Das versetzte einen in einen geistigen Zustand, der die Ödnis dieser Arbeit besser ertragen ließ. Scheffer hatte auch ganz schön gesoffen. Mein lieber Schwan, hatte der gebechert. Aber er konnte auch eine Menge vertragen. Und er hatte keine Magenschmerzen. Bei Scheffer hatte es dazugehört, und niemand wäre auf die Idee gekommen, es ihm vorzuwerfen. Die Leitung des Dienstes hatte es offenbar übersehen wollen. Doch bei Theo würde sie es nicht übersehen, die Zeiten hatten sich geändert, der Geheimdienstkrieg, in dem man sich Mut antrank, war geschlagen. In Moskau bin ich erst richtigzum Trinker geworden, dachte Theo. Erst dort. Wann genau die Sucht ihn gepackt hatte, wusste er nicht, er hatte keinen Übergang verspürt.
    Er dachte wieder an Scheffer, erinnerte sich an Szenen, unterwegs in Moskaus Straßen, in Kneipen, in einem dieser aufgemotzten Cafés im GUM , wo Scheffer den Wodka geradezu in sich hineingeschüttet hatte. Vielleicht war das der Preis, den er für seinen vermeintlichen Fehler damals bezahlen musste. Ob er betrunken war, als er starb? Vielleicht hatte er es nicht mehr unter Kontrolle gehabt. Dann würde auch so einer wie Georg mal einen Fehler machen.
    Theo legte die Hände hinter den Kopf und streckte sich. Er musste nach Moskau, so schnell es ging. Vielleicht hatten die Gerichtsmediziner ordentlich gearbeitet und konnten diese Frage beantworten. Aber würden sie die Wahrheit sagen?
    Er erinnerte sich gern an die Monate, in denen er mit Scheffer zusammengearbeitet hatte. Scheffer, der schon fast ein Russe geworden war. Gemeinsam ließen sie den damaligen BND – Residenten hochgehen. Der hatte großmäulige Berichte nach Pullach geschickt und Erfolge angekündigt, aber nie Ergebnisse geliefert. Die Agenten, die er angeblich geworben hatte, hatte es zum Großteil nur in seiner Fantasie gegeben. Und die Honorare, die dieser Typ behauptete, an die Spione bezahlt zu haben, hatte er in die eigene Tasche gesteckt, auch wenn man es nicht hieb- und stichfest beweisen konnte.
    Scheffer aber war wirklich erfolgreich gewesen. Er hatte die Depressionen, in die ihn die Kornilow-Niederlage geschickt hatte, einigermaßen überwunden, arbeitete noch vorsichtiger, ging im Interesse seiner Agenten nur das allergeringste Risiko ein, aber jetzt hatte er offenbar sein Leben aufs Spiel gesetzt und verloren. Doch das war nur denkbar, wenn die anderen mit gezinkten Karten gespielt hatten. Hätte er doch nur gewusst, dass er Scheffer nie wiedersehen würde, als erMoskau verlassen musste, weil Klein ihn in die Zentrale holte und dann nach Rom schickte. Was hättest du getan, wenn du es gewusst hättest? Blöde Frage.
    Es klopfte.
    »Herein!«
    Eine kleinwüchsige Frau, breite Hüften und eine rotbraune Kurzhaarfrisur, mit einem Schweißband um die Stirn, schob einen Aktenwagen herein. Darauf ein Umzugskarton. Sie stellte den Wagen vor den Schreibtisch, drehte sich um und verließ den Raum, ohne ein Wort zu sagen.
    Er erhob sich und öffnete die Kiste. Akten, Papiere, Mappen lagen ungeordnet herum, als würde schon der Aktenvernichter auf sie warten. Theo nahm zwei Schnellhefter heraus, der eine mit einem braunen, der andere mit einem grünen Deckel. Sie waren nicht beschriftet.
    Im grünen Ordner fand er handschriftliche Notizen, kaum entzifferbar. Er blätterte in der Hoffnung, etwas Lesbares zu finden, doch bis zur letzten Seite nur Scheffers Hieroglyphen. Also zurück zur ersten Seite, um zu schauen, ob er wenigstens etwas entziffern konnte. Mein Gott, dachte er, der Mann brauchte keine Geheimschrift. Daran wären alle Kryptografen des KGB gescheitert. Hoffentlich hatte wenigstens Scheffer die eigene Sauklaue entziffern können.
    Das Gekritzel auf dem ersten Blatt ergab keinen Sinn. Auf der zweiten Seite konnte Theo immerhin zwei Wörter entziffern: Andropow? Tschernenko? Dann sogar noch ein drittes: Gorbatschow!
    Toll, Scheffer hatte sich die Namen der drei letzten Generalsekretäre der sowjetischen Kommunisten notiert. Hatte er die nicht im Kopf behalten können? Lächerlich! Was für einen Grund konnte es haben?

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