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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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sagte. Er war dann wie versteinert. Die Mutter redete auf ihn ein in diesem hohen, fast quengelnden Tonfall, bis sie endlich aufgab, weil sie auch mit der Wand hätte reden können, schluchzend ins Schlafzimmer stürzte und die Tür zuknallte. Und dann hörten sie draußen noch, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Manchmal fing Henri dann an zu reden.
    Nun kamen die Erinnerungen doch wieder, und sie waren schmerzhaft wie immer. Wie wäre sein Leben verlaufen, hätten die Eltern sich nicht getrennt? Hätte ihn die Mutter genauso verwöhnt? Gewiss nicht, es war ihre Art, den Konkurrenzkampf mit Henri auszutragen, den Kampf um ihn. Solange die Eltern zusammen gewesen waren, war auch die Mutter eher streng gewesen. Er hatte darunter gelitten, vor allem weil sie immer verhinderte, dass er Schulkameraden mit nach Hause bringen durfte. Das machte ihn zum Einzelgänger, dem nicht viel anderes übrig blieb, als daraus eine Lebenshaltung zu machen, die er so verinnerlichte, dass er, als die Mutter es dann widerstrebend zugelassen hätte, niemanden mehr zu sich einlud. Er galt früh als unnahbar, arrogant. Aber das machte ihn wiederum interessant. Er war anders als die anderen.
    Die Autobahn war fast leer, die Sicht klar. Er fuhr nicht schneller als hundertdreißig. Er erinnerte sich wieder, wie sich die Eltern getrennt hatten und der Vater erst einmal verschwunden war. Eigentlich wusste er da mals nichts über den Vater, außer dass der beim BND war. Und mehr als Klein ihm erzählt hatte, wusste er auch später nicht über Henris Arbeit, bis auf diese ko mische Fluchtgeschichte, aber vielleicht war das nur eine Heldensage. Wenn er an ihn dachte, was selten ge schah, nannte er ihn meistens Henri. Hier und da zogen ältere Kollegen die Augenbrauen hoch, wenn Theo sich vorstellte. Manchmal sagte einer so etwas wie: Ach ja, Ihr Vater, der war ja auch bei uns. Und vielleicht noch: Ein guter Kollege, wirklich. Aber in den Blicken lagen Fragen. Warum war der Vater so früh in den Ruhestand gegangen? Warum hatte er keinen Kontakt mehr zum Dienst? Eine neue war hinzugekommen: Warum musste Klein den Sohn zum Vater schicken, statt den Vater nach Pullach einzuladen oder selbst nach Staufen zu fahren?
    Gut, das mit dem frühen Ruhestand mochte nichts bedeuten. Es war beim BND nicht unüblich, gerade bei solchen nervenaufreibenden und gefährlichen Jobs, wie Henri sie wohl hatte erledigen müssen. Jedenfalls las Theo das in den spärlichen Andeutungen.
    Theo hatte auf der Fahrt nach Staufen solche Fragen nicht an sich herangelassen. Da war er angespannt gewesen, hatte seinen Magen gespürt und die Schmerzen gefürchtet, die vielleicht noch kommen würden, ihn dann aber glücklicherweise verschonten. Niemals würde er anderen gegenüber eingestehen, dass er diese Schwäche hatte. Mehr als unter den gelegentlichen Schmerzen litt er unter der Einsicht, dass sie eine Schwäche waren. Doch jetzt, nach der Enttäuschung, überfielen ihn die Fragen umso mehr.
    Er hätte jetzt gerne etwas getrunken.
    Ein Sportwagen überholte mit röhrendem Auspuff. Schneeflocken zerplatzten an der Windschutzscheibe.
    Er schaltete das Radio ein und hörte gerade noch,dass 1860 München ein Zweiligaspiel gegen Fürth verloren hatte. Er fluchte, auch Zettel-Ede würde den Aufstieg nicht schaffen, der mit großem Tamtam eingestellte neue Trainer, der während der Spiele pausenlos Notizen schrieb. Er erinnerte sich gut, er war zu besseren 60er Zeiten zwei, drei Mal mit dem Vater im Stadion an der Grünwalder Straße gewesen und verfolgte seitdem das Auf und Ab des Vereins mit der ruhmreichen Vergangenheit, meistens ging es abwärts. Er hatte keine Lust auf weitere Katastrophenmeldungen und schaltete das Radio wieder aus.
    Warum hatte der Dienst Scheffer wieder nach Moskau gehen lassen? Das hatte der Vater gefragt. Immerhin, diese Frage war vielleicht wichtig. Es hatte, Theo erinnerte sich, oder begann er schon, sich etwas einzureden, doch, es hatte ein wenig verzweifelt geklungen. So, wie das bei Henri eben klang. Was steckte dahinter? Dass Scheffer zu alt war? Wann war ein Spion zu alt? Sie mussten ja keine Akrobatenkunststücke aufführen wie James Bond, Spionage ist eine Kopfsache. Und Scheffer war offenbar fit im Hirn gewesen und auch noch gut zu Fuß. Henri konnte gar nicht wissen, ob Scheffer noch in Form gewesen war. Und gefragt hatte er auch nicht danach.
    Was konnte vor fast dreißig Jahren geschehen sein, dass heute einer sterben musste? Unvorstellbar.

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