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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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hellgrauer Anzug sichtbar, der offenbar nach Maß aus englischem Tuch gefertigt war. Er verbarg geschickt die Ansätze eines Bauches, die Craig Mavick als einen Menschen charakterisierten, der gern und gut aß und trank.
    Mavick setzte sich auf den Fensterplatz, stopfte die Aktentasche unter den Sitz, schnallte sich an, schnaufte einmal wie zum Zeichen, dass er endlich im Flugzeug saß und bereit war für die lange Reise. Wenn alles gut ging, würde er zwei oder drei Jahre dort bleiben, umdann abgelöst zu werden. Er hatte eine brüchige Beziehung hinterlassen, die zu zerstören nun die Zeit übernehmen würde. Eine gute Lösung.
    Er griff nach der New York Times. Auf dem Titelbild ein Bild von Breschnew. »Tschernenko oder Andropow?«, fragte die Zeitung. »Parteiapparat oder KGB ?«
    Auf den Platz am Gang setzte sich eine junge Frau mit einer Frisur, der man nicht ansah, ob ein Friseur zwei Stunden in sie investiert oder die Frau sich am Morgen nicht gekämmt hatte. Mavick grinste vor sich hin, sah im Augenwinkel, wie erschöpft sie war, wie nervös sie sich durch die blonden Haare fuhr, und tippte auf Letzteres. Sie hatte wohl verschlafen und war zum Flugzeug gehetzt. Meistens hatte er recht mit solchen Einschätzungen. Er hielt sich einiges zugute auf seine Menschenkenntnis.
    Er vertiefte sich wieder in die Zeitung, las im Sportteil über das Debakel der Yankees, ohne aber mit der Analyse des Redakteurs zufrieden zu sein. Das war ihm alles zu einfach. Baseball war ein komplexes Spiel und hing nicht ab von der Tagesform eines Pitchers, der vor dem Spiel vielleicht vor Aufregung zu wenig geschlafen oder die Nacht durchgemacht hatte.
    Als die 707 auf der Startbahn beschleunigte und ihn in den Sitz presste, legte er die Zeitung auf den frei gebliebenen Mittelplatz und schloss die Augen. Er genoss diese Demonstration der Physik, die rohe Kraft, welche die tonnenschwere Passagiermaschine in den Himmel trieb.
    Als die Maschine ihre Flughöhe erreicht hatte, öffnete er die Augen und sah, dass die Frau auf dem Gangplatz sich verkrampfte. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Ihre Hand lag auf der Lehne und zitterte. Er überlegte, ob er Hilfe anbieten solle, nahm aber davon Abstand, weil ihm nichts einfallen würde, um ihre Flugangst zu dämpfen.
    Er zündete sich eine Zigarette an und nahm sich wieder die Zeitung vor. Im Börsenteil fand er die Bestätigung, dass er sein Vermögen gut angelegt hatte. Die Aktienkurse stiegen, die Staatsanleihen bewegten sich nicht, der Goldpreis hatte leicht angezogen. Immer wieder genoss er das Gefühl, von niemandem abhängig zu sein. Inzwischen dachte er kaum noch an seine Eltern, die mit ihrer Jacht vor Miami abgesoffen waren, ohne dass man ihre Leichen je gefunden hatte.
    Er war nun ein reicher Mann, der beschlossen hatte, eine Karriere bei der CIA zu machen. Und die CIA dankte ihm seinen Einsatz, seinen Mut und seine Umsicht, indem sie ihn nach Moskau schickte, um dem dortigen Stationschef zu helfen. Sie wussten zum Glück nicht, dass er nicht immer dieser eiskalte Typ war, den er mit einer Beherrschung darbot, die der Selbstverleugnung gleichkam. Sie wussten nicht, dass er manche Nacht aufwachte, weil er glaubte, in seinem Zorn jemanden erstochen zu haben. Und dass er es genossen hatte, wie das Blut pulsierend aus einem zuckenden Körper floss und sich die dunkelrote Lache auf dem Boden weitete. Das wusste nur er, und er würde es niemandem verraten.
    »Craig, dort erhalten Sie Ihren Feinschliff«, hatte Ruthcomb gesagt, der Abteilungsleiter für Osteuropa und die Sowjetunion. Wenn Sie in Moskau was reißen, sind Sie der Crack hier. Wer dort Erfolg hat, der kann überall Erfolg haben. Ich weiß, dass Sie mich nicht enttäuschen werden.« Schrecklich klischeehaft, aber doch ernst gemeint. So war Ruthcomb.
    Mavick dachte mit Hochachtung an den kleinen dicken Mann, der immer nervös an seiner Zigarettenspitze herumkaute. Ruthcomb war in den Siebzigerjah ren in Moskau gewesen, bis das KGB ihm den Arsch aufgerissen hatte, wie er zu sagen pflegte. Sie hatten ihm die Arme gebrochen und den Hoden geprellt, bis ihnen zu ihrem allergrößten Bedauern aufging, dass sie es mit einem Mitarbeiter der US – Botschaft zu tun hatten, der diplomatische Immunität genoss. Selbstverständlich hatte das sowjetische Außenministerium den Vorfall bedauert, aber doch auch elegant darauf hingewiesen, dass Spionage eigentlich nicht zu den üblichen Aufgaben von Diplomaten gehöre.
    Mavick zog seine

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