Das Moskau-Spiel
deutlicher gewesen. Die klassische Honigfalle.
»Sprechen Sie auch so gut Deutsch wie Herr Grujewitsch?«, fragte Henri.
»Nein, ich fürchte, mein Deutsch ist … fehlerhaft«, sagte sie. Sie war aufdringlich und unaufdringlich zugleich. Ein kurzes Lächeln nur, kaum mehr als eine Andeutung, konnte Henri nur als Aufforderung zu mehr verstehen oder wenigstens als Kokettieren damit. Und er sollte es natürlich. Aber ihre Augen betrachteten ihn kühl wie eine Biologin das Insekt, das sie gern aufspießen würde, um es ihrer Sammlung hinzuzufügen.
Der Raum hatte sich gefüllt. Wolken von Zigarettenrauch zogen über den Köpfen. Irgendwo schien ein Gast einen über den Durst getrunken zu haben, laute Stimmen, dröhnendes Lachen. Henris Augen suchten Gebold, aber den hatte die Menge verschluckt.
»Kommen Sie, wir gehen Ihren Kollegen suchen«, sagte Irina, als wüsste sie immer ganz genau, was er wollte, und hakte sich ein. Grujewitsch lächelte freundlich. »Wie gesagt, wenn Sie Hilfe brauchen …« Er nickte Henri freundlich zu und drehte ab.
Irina schwebte wie eine Tänzerin an seinem Arm. Sie trug ein Westparfum, eindeutig. Er überlegte, wie er sie loswerden konnte. Das wäre das Erste, was ein Agent tun würde. Also würde er sie eine Weile aushalten, was ihm nicht besonders schwergefallen wäre, wenn sie nicht gewesen wäre, was sie war. Und doch fand er es angenehm, sie zu spüren und sie zu riechen. Wahrscheinlich war sie ein armes Schwein, ein lebender Köder, der sich mit Männern einlassen musste, mit denen er sich freiwillig nie eingelassen hätte. Einen erbärmlicheren Job gab es nicht beim Geheimdienst. Fast tat sie ihm leid.
»Sie haben Germanistik studiert?«, fragte er, während seine Augen Gebold suchten.
»Ja, in Leningrad. Ich war auch ein Jahr in Berlin.« Sie sprach fast so gut wie Grujewitsch.
»Und was machen Sie im Haus der Presse?«, fragte er. Es war ein Spiel, ganz harmlos. Es fing an, Henri Spaß zu machen. Die Ost-West-Version von Versteckspielen für Erwachsene.
»Reiseführerin, für … besondere Gäste. Also Besucher aus dem westlichen Ausland.«
»Dann sprechen Sie gewiss auch Englisch und Französisch.«
»Mais oui!«, sagte sie. Sie lachte zum ersten Mal. Sie hatte ein schönes Lachen, keineswegs affektiert, wie Henri es erwartet hatte. Sie gefiel ihm wirklich. Ich komme nach Moskau und lerne am ersten Tag zwei schöne Frauen kennen. Besser geht’s nicht.
Und wahrscheinlich hat sie noch einen Stapel von akademischen Titeln, dachte Henri.
Sie zog ihn nicht, aber sie führte ihn doch in eine Ecke fernab vom Büfett, wo weniger Gedränge herrschte. Sie schaute ihm in die Augen, dann wandte sie ihren Kopf zur Wand, sodass niemand ihre Lippen sehen konnte. »Helfen Sie mir«, flüsterte sie. »Sie müssen mir helfen. Bitte!«
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IV.
Es wäre auch zu schön gewesen, hätte Scheffer etwas hinterlassen, das Theo weitergeholfen hätte. Aber ein Spion hinterlässt keine Spuren, es sei denn falsche. Und Scheffer war ein guter Spion gewesen, einer der besten, so schrullig andere ihn gefunden haben mochten. Theo schaute hinunter auf die eintönige Landschaft, die sich schon eine Weile unter ihnen entlangzog. Er versuchte sich vorzustellen, wie die Menschen dort lebten, in kleinen Dörfern, in den Überbleibseln der Kolchosen und Sowchosen, fast abgeschnitten von der Welt.
Schwere blaugraue Wolken trugen Schnee übers Land. Das Flugzeug rüttelte durch Luftlöcher, bald würden sie in Moskau sein. Er trank seinen Kaffee aus, schielte kurz zu dem Mann, der auf dem Gangplatz seiner Reihe saß und vor sich einen Whisky stehen hatte. Theo zwang sich wegzuschauen.
Er dachte an Radenkovi
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und Olga, seine Fische, für die nun der streng riechende alte Mann im Erdgeschoss sorgen musste, der sich ein paar Euro als Hausmeister zur Rente verdiente und bisher zuverlässig gewesen war. Natürlich hatte sich Theo anständig verabschiedet von den beiden und bildete sich ein, dass sie ein wenig für ihn im Wasser getanzt hatten trotz ihres respektablen Alters von über neun Jahren.
»Wenn Sie jemand fragt, was Sie in der deutschen Botschaft so treiben, dann sind Sie eine Art Ermittler. Sie schauen im Auftrag des Bundeskanzleramts, ob im FallScheffer noch etwas zu tun ist, und klären das mit den russischen Behörden. Wir haben das auch mit dem AA abgesprochen. Sagen Sie ruhig, dass Sie Zweifeln an der offiziellen Version nachgehen. Alles andere würde uns sowieso keiner glauben. Sie
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