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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Profigestellt worden waren. Henri war ein Profi.
    Er vergewisserte sich, dass er seinen Diplomatenpass bei sich hatte, zog die Winterstiefel an, den gefütterten dunkelblauen Mantel, die Lederhandschuhe, schaute noch einmal im Bad in den Spiegel, fand nichts zu korrigieren und ging hinunter. Die Aufpasserin hinter dem Schalter würdigte ihn nur eines flüchtigen Blicks, dann vertiefte sie sich wieder in ein Buch. Bestimmt eine Biografie Feliks Dserschinskis, dachte Henri, wahrscheinlich garniert mit dessen Motto: »Kühler Kopf, heißes Herz, saubere Hände.« Sah man mal ab vom Blut, das daran klebte.
    Als er aus der Haustür kam, wartete schon ein schwarzer Mercedes-Benz. Gebold stand davor und stieg kommentarlos ein, als er bemerkte, dass Henri ihn gesehen hatte.
    »Guten Abend«, sagte Henri, als er auf dem Beifahrersitz saß.
    »’n Abend«, brachte Gebold über die Lippen.
    Vielleicht hatte er über seine Rolle nachgedacht, überlegte Henri. Und es war ihm aufgegangen, dass Pullach ihn nur noch als Agentenschauspieler betrachtete.
    »Wen treffen wir jetzt?«
    »Unseren wichtigsten Mann in Moskau. Arbeitet in der Handelsmission und führt unseren ergiebigsten Agenten. Um es klar zu sagen.«
    Henri wusste, dass er über diese Quelle nichts erfahren würde. Er fand es schon erstaunlich, dass Gebold dessen Existenz eingestanden hatte.
    »Wo?«
    »Im Restaurant im Gewerkschaftshaus. Da gibt es einen kleinen Empfang für Krupp-Manager. Wir sind von der Botschaft abgesandt und werden zufällig mit unserem Mann ein bisschen reden.«
    Warum so umständlich?, war Henri versucht zu fragen. Aber er sagte nichts. Vielleicht war es ja auch gut so. Die Zweite Hauptverwaltung des KGB , die Spionageabwehr, konnte so kaum Verdacht schöpfen gegen ihn, jedenfalls nicht mehr als vorher. Und es ermöglichte ihm, schon jetzt den wichtigsten BND – Mann in Moskau kennenzulernen, ohne seine Tarnung zu riskieren.
    Nein, entschied Henri, das war gar nicht dumm. »Gute Tarnung«, sagte er. »Und eine glückliche Fügung, dass dieser Empfang jetzt ist.«
    »Das ist keine glückliche Fügung. Das haben wir so organisiert.«
    Henri verzichtete darauf nachzufragen, was organisiert in diesem Fall heiße. Mein Gott, hoffentlich bin ich diesen Idioten bald los.
    »Ab morgen sind Sie nur noch Pressefritze, und das für die nächsten Monate.« Es klang wie ein Befehl.
    Henri überlegte, ob dieses Treffen am Abend nicht gegen seine Weisung verstieß, am Anfang nichts für den Dienst zu tun. Aber was sollte dabei sein, dass er an einem Empfang der Handelsmission für Manager teilnahm? Das war ein Job für einen Pressefritzen. Dort würden ja auch Journalisten sein, denen er die Bonner Außenwirtschaftspolitik erklären konnte. Zumindest so tun, als ob, was sich in der Praxis aber nicht groß unterscheiden würde von einer tatsächlichen Pressearbeit.
    Draußen fiel Schnee.
    Ein großer Nebenraum des Restaurants im Gewerkschaftshaus war reserviert für den Empfang. Überall Männer in grauen oder dunkelblauen Flanellanzügen. Henri kam es so vor, als sähen sie alle gleich aus. Ihn eingeschlossen, was aber nur ein Vorteil war.
    Es gab ein Büfett mit Fisch und Fleisch, Kaviar, Borschtsch und Soljanka, Wein und Wodka, was westdeutsche Geschäftsleute eben erwarteten, wenn sie nach Moskau reisten. Angesichts der horrenden Summen, die bei ihren Geschäften flossen, waren die Kosten eines solchen Empfangs lächerlich.
    Henri orientierte sich an Gebold, der hier und da jemanden grüßte, auch wenn er nicht viele Leute zu kennen schien, zu wenig jedenfalls für ein paar Jahre Moskau. Was hatte der Mann in dieser Zeit gemacht? Gebold war das Gegenteil von kontaktfreudig, in seinerschroffen Art mochte er mit russischen Kellnern wetteifern, aber Freunde fand er so nicht. Geheimdienstarbeit heißt zuerst, Kontakte zu knüpfen. Auch Henri fiel es schwer, auf Menschen zuzugehen, aber er nahm es sich immer wieder vor und tat es dann auch. Er überwand sich sogar zum Small Talk, eigentlich ein Verschleiß von Stimmbändern und Zeit, wie er fand. Doch Henri wusste, dass es ohne dieses Gerede nicht ging und dass er einsam in einer Ecke stehen und sich an seinem Glas festhalten würde, wenn er sich nicht darauf einließ. Beachte die Spielregeln, sonst fällst du auf.
    Gebold hatte ihm den Rücken zugekehrt, um mit einem kleinen, fetten Mann mit glänzendem Vollmondgesicht zu reden, als sich vor Henri ein Riese aufbaute, in jeder Hand ein Champagnerglas,

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