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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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haben das Glück, dass Ihre Legende fast die Wahrheit ist. Werden Sie trotzdem nicht leichtsinnig.« Klein hatte sein Gesicht verzogen, um ein Lächeln vorzutäuschen.
    »Sie sind unser Mann, weil es darauf ankommt.« Klein tippte sich an die Stirn. »Ich weiß, Sie fragen sich, warum wir ausgerechnet Sie schicken. Ganz einfach: weil Sie clever sind. Darauf kommt es an. Nur darauf.«
    Theo lehnte sich zurück und schloss die Augen. Die Maschine beruhigte sich etwas, das Rumpeln nahm ab. Er versuchte zu dösen, aber wie so oft hatten Erinnerungen darauf gelauert, sich in seine Gedanken zu drängen. Der Besuch bei seinem Vater fiel ihm ein, diese Kälte, die der Mann verströmt hatte. Schon immer verströmt hatte. Theo erinnerte sich, wie der Vater sich früher gemüht hatte, den Sohn auch einmal in die Arme zu nehmen, und wie der schon früh bemerkt hatte, dass es ein Krampf war für beide. Theo wusste inzwischen, woran es lag, dass Henri gefühllos erschien. Wenn man aus so einer Familie kam, wenn man so einen Vater wie Henri gehabt hatte, dann wurde man so, wie Henri geworden war. Man funktionierte, man hielt Gefühle für Schwäche, und Schwäche war verachtenswert.
    Als Theo in die Schule ging, in München, da galt auch er als unnahbar, arrogant, ein Schnösel, weil er es nicht verstanden hatte, sich auch nur einen Millimeter zu öffnen. Bloß keine Schwäche zeigen, immer stark sein. Am Ende schien er so stark, dass er allein blieb. Wenn man sich nicht mit anderen einließ, dann geriet man nicht in Gefahr, schwach zu wirken.
    Warum kamen ihm gerade jetzt diese Gedanken? Warum konnte es nicht aufhören, ihn zu quälen? Jetzt fiel ihm sogar ein, wie sehr ihn die Hochwasserhosenbeine gequält hatten, der Spott der Klassenkameraden, das Grinsen der Mädchen. Weil die Eltern darauf bestanden, dass er diese elenden Hosen auftrug, grau, an den Knien verbeult. Sogar wenn sie Stopfflicken hatten, was nicht einmal die trugen, die aus Obergiesing kamen. Und dann die Lehrer, die mitkriegten, wie sie über ihn lachten und grinsten, und die dachten, es liege an seiner anerzogenen Kühle, seiner Überheblichkeit, die doch nichts anderes war als eine fatale Mischung aus seiner Kränkung und der väterlichen Doktrin, der sich die Mutter nie widersetzt hatte.
    Er hätte die Landung fast verschlafen. Der Mann auf dem Gangplatz lehnte den Kopf zurück in die Lehne und schloss die Augen, als das Flugzeug sank. Der Tisch vor ihm war hochgeklappt, der Whisky verschwunden. Natürlich.
    Nachdem der Flieger gelandet war, fand Theo den Diplomateneingang, legte seinen Diplomatenpass vor, wurde zügig abgefertigt, ohne dass die Kontrolleure ein einziges Wort verloren, und verließ das Flughafengebäude. Auf dem Scheremetjewo-Vorplatz und der Zufahrtsstraße waren Teer und Beton teilweise aufgesprungen. Überall Pfützen des Schmelzwassers, das sich bald in Eis verwandeln und seine Zerstörungsarbeit fortsetzen würde. Er stieg in ein Taxi. Auf der Fahrt in die Stadt begann es erneut zu schneien, Matsch segelte flockenweise vom Himmel herab. Das Wetter konnte sich nicht entscheiden zwischen Schnee und Regen.
    Der Taxifahrer war ein mürrischer Bursche mit einer von Pickeln übersäten breiten Nase, einer speckigen Lederkappe auf dem Kopf und einer graublauen Strickjacke. Er kaute auf irgendetwas herum und hüstelte hin und wieder vor sich hin, wie um kundzutun, dass er am liebsten rauchen würde.
    Das Botschaftsgebäude in der Uliza Mosfilmowskaja 56 lag hinter einer Backsteinmauer und einemschwarz gestrichenen Stahlgittertor. Theo drückte dem Fahrer ein paar Rubelscheine in die Hand, winkte knapp, um anzuzeigen, dass er auf Wechselgeld verzichtete, und klingelte an der Pforte neben dem gelben Staatswappen mit dem schwarzen Adler.
    »Guten Tag, Herr Martenthaler«, sagte der Pförtner. »Schön, dass Sie wieder an Bord sind.« Ein alter, grauhaariger Mann war aus der Pforte in die Kälte hinausgekommen und schüttelte Theo die Hand. »Ich glaube, der Herr Botschafter erwartet Sie schon. Ist ja eine schlimme Sache mit diesem Scheffer.«
    »Danke«, sagte Theo und fluchte innerlich, weil er den Namen des Pförtners vergessen hatte. Erst als er im Vorzimmer des Botschafters saß, fiel er ihm wieder ein. Peters, so hieß der Mann. Bei nächster Gelegenheit würde er ihn so nennen. Theo wusste, dass er manchen immer noch als arrogant galt, aber er kämpfte dagegen an. Alles Mögliche, nur nicht arrogant sein. Und keine zu kurzen Hosenbeine

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