Das Moskau-Spiel
Nur sind Sie mir noch gar nicht über den Weg gelaufen. Ich dachte, ich kenne jeden von den Jägern und Fallenstellern in Pullach und in der großen weiten Welt.« Travolta grinste.
»Wenn Sie sich hier so gut auskennen, dann können Sie mir bestimmt so tatkräftig helfen, wie mein Pullacher Hexenmeister gesagt hat.«
Großmann ließ Bedauern aufscheinen. »Herr Kollege, das ist ein ganz tragischer Fall. Wirklich tragisch.« Er kratzte sich an der Backe, nestelte an seinem Schlips herum, fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Wenn ich nur wüsste, was dahintersteckt.«
»Wer ist Gold?«
Die Fetthände hoben sich und senkten sich gleich wieder auf die Tischplatte.
»Hat Scheffer Ihnen nichts gesagt? Keine Andeutung?«
»Er war verschlossen wie ein Schweizer Banktresor, Herr Kollege. Wie ein Banktresor.«
»Vielleicht ein Provokateur?«
»Vielleicht. Aber Scheffer war eine alte Pistensau, der fiel nicht so schnell auf einen herein. Bevor der sich aufden Weg machte, um einen neuen toten Briefkasten zu leeren, checkte der alles. Eine echte Pistensau. Der perfekte Außendienstler. Von uns Alten gibt es nicht mehr viele.« Großmann guckte rührselig.
»Ich habe Scheffers Unterlagen in Pullach durchgesehen. Nichts Verwertbares. Gibt es hier irgendwo so was wie eine Hinterlassenschaft?«
»Herr Kollege …«
Der Kellner brachte die Schnitzel und das Bier.
Als der Mann abgezogen war, sagte Großmann: »Herr Kollege, Sie glauben doch selbst nicht, dass so einer wie Scheffer irgendetwas hinterlässt, das uns irgendetwas verrät. Nein, der nicht. Ganz bestimmt nicht. Und ich sag Ihnen gleich: In der Hinterlassenschaft, die die Miliz Ihnen gibt, finden Sie auch nichts. Selbst wenn da ursprünglich was gewesen sein sollte. Sie verstehen, Herr Kollege?«
Theo nahm sich vor, dem Kerl beim nächsten »Herr Kollege« den pappigen Kartoffelsalat an den Kopf zu klatschen. Er nickte. »Das heißt, Gold ist jetzt abgehängt.«
Großmann stierte ihn kurz an, säbelte dann ein großes Stück von dem tatsächlich gigantischen Schnitzel und sagte: »Shit happens. Vielleicht meldet er sich ja wieder. Vielleicht.«
»Bei wem?«
»Wenn er was mit dem FSB zu tun hat, dann womöglich bei mir. Die wissen doch längst, wer ich bin. Wenn er nicht im Dienst ist, na dann …« Seine Gabel machte einen Rundflug über dem Tisch.
»Na gut, das soll nicht meine Sorge sein«, sagte Theo. »Ich nehme an, morgen habe ich die Treffen mit der Kripo und dem Leichendoktor.«
»Morgen schon?«
»Bestimmt, die wollen mich doch bald loswerden. Egal, wie es war.«
»Da hamse recht, Herr Kollege. So wird es sein. Wennich was helfen kann, sagen Sie Bescheid. Jederzeit, so unter Kollegen, jederzeit.« Er schmatzte.
Und Theo stellte sich vor, wie es wäre, dem Kerl eine runterzuhauen.
Zurück in seinem Zimmer, fand er ein Kuvert vor, darin die Nachricht, Staatsanwalt Salachin bitte ihn, sich gleich am Vormittag, so gegen elf Uhr, im Milizpräsidium bei einem Oberst Mostewoj zu melden. Der Oberst werde ihm alle Fragen beantworten und ihn auch zur Rechtsmedizin begleiten.
Am Morgen saß er wieder »Bei Alois«, diesmal, um zu frühstücken. Er hoffte, dass Großmann nicht auftauchte. Wenn er heute alles schaffte, wenn keine Fragen offenblieben und er Scheffers Hinterlassenschaft erhielt, dann würde er nach Hause fliegen können. Kurz und schmerzlos. Immerhin mit Außendienstzulage.
Bevor er die Botschaft verließ, prüfte er in seinem Zimmer im Spiegel, ob er ordentlich gekleidet war. Besonders kritisch prüfte er die Länge der Hosenbeine. Aber wie immer hatte er nichts auszusetzen.
Schon vor dem Frühstück war es ihm gelungen, einen Botschaftswagen mit Fahrer zu ergattern. Das hätte ich schon gestern machen sollen. Jetzt kam er sich fast vor wie ein offizieller Vertreter des Bundeskanzleramts, der er in Wahrheit irgendwie auch war. Nur dass da noch eine Behörde zwischengeschaltet war.
Es war richtig kalt geworden über Nacht. Theo saß auf der Rückbank, und das erste Fahrzeug, das er sah, streute Sand oder Salz oder beides auf die Straße. Schon in der Nacht hatten Streufahrzeuge verhindert, dass der Moskauer Verkehr zusammenbrach. Das Schneewasser zischte unter den Reifen des schwarzen E-Klasse-Mercedes. Eine strahlende Sonne an einem blassblauen Himmel beschien die klirrende Kälte. An den Bäumen, Mauervorsprüngen und Dachrinnen hingen Eiszapfen, die irgendwann abbrechen und sich mit der Spitze zuerst nach unten stürzen würden.
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