Das Moskau-Spiel
versuchen.«
Und ihr werdet bedauerlicherweise niemanden finden, ergänzte Theo im Kopf. »Meine Regierung hat keinerlei Zweifel, dass Sie alles tun, was möglich ist. Ich bin beauftragt, mich mit eigenen Augen von dieserunzweifelhaften Tatsache zu überzeugen. Führende Leute aus der Wirtschaft haben Gerüchte aufgenommen oder verbreitet, die natürlich nur das Ergebnis einer unbegründeten Angst sind. Sie wollen in Russland investieren, fürchten aber um ihre persönliche Sicherheit. Man hört …«
»… in Ihrem Land viel« – ein trauriger Blick – »Falsches über Russland«, unterbrach Mostewoj. »Nennen Sie mir einen deutschen Wirtschaftsführer, der in unserem Land bedroht worden ist.« Er hatte seine Stimme ein wenig angehoben.
Theo winkte ab. »Sie haben völlig recht, Herr Oberst. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass alle derartigen Befürchtungen übertrieben sind. Ich fühle mich in Ihrem Land so sicher wie in meinem. Nur, Sie wissen, wie das ist. Wenn so eine Stimmung einmal aufkommt, haben Tatsachen es schwer.«
Mostewoj nickte, dachte nach und lächelte. »Ja, das gibt es nicht nur in Deutschland. Gerüchte, Stimmungen, die … Atmosphäre, das zählt mehr als offenkundige Tatsachen. Gut, ich will Ihnen gerne helfen.«
»Vielleicht könnte ich mit Zeugen sprechen? Vor allem damit ich zu Hause sagen kann, ich hätte es getan.«
Mostewoj wiegte seinen Kopf. »Das müsste die Staatsanwaltschaft entscheiden. Ich bin mir nicht sicher, wie sie das entscheidet. Nachher finden wir den Fahrer, und vor Gericht sagt dann der Verteidiger, ein Herr aus Deutschland habe die Zeugen beeinflusst.«
Blödsinn, dachte Theo. Seit wann werden Zeugen versteckt? Und seit wann stören russische Gerichte sich an solchen Kleinigkeiten?
»Wissen Sie, einen Rechtsstaat gibt es bei uns erst seit kurzer Zeit. Da nehmen wir es natürlich ganz genau.« Er ließ Theo sein Bedauern in den Augen ablesen.
»Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Sie könnten meine Bitte bei der Staatsanwaltschaft vortragen. Selbstverständlich würde ich mit den Zeugen nur in Anwesenheit russischer Vertreter sprechen. Ich wäre Ihnen auch dankbar, Sie könnten einen Dolmetscher stellen.«
»Gut, Herr Martenthaler, ich werde es weitergeben.«
Theo nickte.
»Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, dann könnten wir zu unserer Gerichtsmedizin fahren.« Er erhob sich, bevor er den Satz beendet hatte.
Auch Theo stand auf. »Gerne«, sagte er. Aber er spürte eine leichte Übelkeit. Er hatte noch nie eine Leiche gesehen.
Warum, verdammt, schickt Klein gerade mich? Theo verharrte einen Augenblick im Stehen.
Mostewoj betrachtete ihn interessiert. Dann griff er zum Telefonhörer, wählte eine kurze Nummer und blaffte zwei Worte hinein. Er legte auf und öffnete freundlich lächelnd die Tür. »Ich darf vorausgehen«, sagte er. Eine kleine Machtdemonstration. Wir können auch anders.
»Der Leiter der Gerichtsmedizin, Professor Protossow, kann leider kein Deutsch. Aber eine Ärztin dort hat in Berlin studiert, und sie kann übersetzen. Sie haben Verständnis, wenn ich Sie hinbringe, dort vorstelle und Sie dann den Medizinern überlasse?« Er lachte. Aber die Augen des Obersts lachten nicht.
»Wenn ich dort wieder herauskomme, natürlich.« Theo fiel ins Gelächter ein. Und seines war so falsch wie das des anderen.
Vor dem Haupteingang wartete schon ein Audi mit Fahrer und laufendem Motor. Auf der Fahrt schwiegen sie. Theo achtete nicht darauf, welche Wege sie fuhren, auch nicht auf den chaotischen Verkehr der Innenstadt. In seinem Hirn nagte der Zweifel. Sie wollen mich alle verarschen. Die Russen ganz bestimmt, aber auch die eigenen Leute. Und wenn es so ist, was steckt dahinter?
Das Zentrum für Gerichtsmedizin belegte ein großes Gebäude aus viel Beton und wenig Glas. Neben dem Eingang links und rechts zwei mächtige Säulen.
Der Oberst ging wieder voraus, zeigte an der Pforte einen Ausweis, wartete die Reaktion des Pförtners nicht ab und zwang Theo, im Eilmarsch zu einer großen Tür am anderen Ende der Eingangshalle zu gehen, in deren Flügeln Milchglasscheiben eingesetzt waren. An der Seitenwand das Wappen der Sowjetunion, gegenüber ein Relief, das Werktätige der sozialistischen Arbeit zeigte, in den Steinfußboden waren Sterne eingearbeitet.
Mostewoj hielt Theo die Tür auf und ging dann weiter voraus, eine breite Treppe mit einem Eisengeländer, darin Sterne und stilisierte Hämmer und Sicheln. Die schwarzen Steinstufen waren
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