Das Moskau-Spiel
abgetreten, die Wände weiß gekachelt.
An die hätten auch noch Helden der sozialistischen Arbeit gepasst.
Jetzt roch es streng nach Desinfektionsmitteln. Sie eilten über Linoleum durch einen Gang mit Neonröhren an der Decke, die Wände ölig beige gestrichen. Eine Röhre flimmerte. Mostewoj stoppte abrupt an einer Tür, klopfte und ging hinein. Theo folgte ihm und sah, wie sich eine junge Frau erhob, halblange schwarze Haare, schlank, feines, blasses Gesicht, gekleidet in einen weißen Kittel. Sie ging auf den Oberst zu und redete fast aufgeregt auf ihn ein. Der Oberst stellte barsch zwei Fragen, dann überlegte er und wandte sich schließlich an Theo, der kaum verstanden hatte, was gesprochen worden war. »Professor Protossow ist leider plötzlich krank geworden. Die Ärzte befürchten einen Herzinfarkt. Aber Frau Dr. Kustowa, die dolmetschen sollte und mit dem Fall bestens vertraut ist, kann Ihnen alle Auskünfte geben, die der Professor Ihnen hätte geben sollen. Ich hoffe, Sie entschuldigen diese Umstände.«
Theo gab Frau Kustowa die Hand.
Mostewoj schaute auf die Uhr, überlegte noch einmal, schien zerrissen zwischen zwei dringenden Aufgaben – seinen Termin wahrnehmen oder hierbleiben – und entschloss sich zu gehen. In diesem Augenblick glaubte Theo, dass der Oberst süffisant gegrinst hatte, nur den Bruchteil einer Sekunde, als er bedauerte, dass er Theo mit der Ärztin allein lassen müsse. Er hat eine Geliebte, dachte Theo. Und trotzdem, seltsam, dass er sich traut, einfach zu gehen. Vielleicht ein Zeichen dafür, dass es wirklich ein Unfall war.
Mostewoj verabschiedete sich per Handschlag von Theo, Frau Kustowa winkte er knapp zu und verließ eilig den Raum.
Theo glaubte, ein leises Pfeifen gehört zu haben, so, als würde Frau Kustowa Luft ablassen. Vor Erleichterung oder aus Angst.
Nun wandte sie sich ihm zu. »Es tut mir leid, dass Professor …«
Theo winkte ab. »Mir tut es nur leid, dass er erkrankt ist. Ich bin sicher, Sie können mir genauso helfen wie der Herr Professor.«
Eine schwarze Wolke zog über ihr Gesicht. Sie hatte kluge Augen.
»Wenn Sie so freundlich wären, mir erst einmal die Leiche von Herrn Scheffer zu zeigen.«
Eine weitere schwarze Wolke. Sie zeigte auf ein Stahlregal an der Wand. Darin stand eine Urne.
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Die schöne Irina, die sich ihm so selbstverständlich angeschlossen hatte, um ihn dann plötzlich um Hilfe zu bitten, sie sah ihn mit glänzenden Augen an. Henri fürchtete, sie würde gleich anfangen zu weinen. Plötzlich stupste ihn jemand an der Schulter. Gebold stand dicht neben Henri, der roch dessen Schweiß. »Ich muss Sie jemandem vorstellen«, sagte Gebold. Er würdigte Irina keines Blicks.
Henri schaute Irina an, hob kurz die Achseln, erntete einen enttäuschten Blick, sagte »Bis später!« und ließsich von Gebold durchs dichter gewordene Menschengedränge zum anderen Ende des Raums führen. Bei einem kleinen untersetzten Mann mit fast vollendeter Glatze und rotem rundem Gesicht blieb er stehen. Der unterhielt sich gerade mit einem riesenhaften Russen, der auf den anderen hinabschauen musste, was dieser durch heftiges Fuchteln mit erstaunlich langen Armen gewissermaßen ausglich. Ein seltsames Paar, das sich da gefunden hatte, aber offenbar gut miteinander klarkam, was Henri aus dem Lachen folgerte, welches das auf Russisch geführte Gespräch immer wieder unterbrach.
Gebold tippte dem kleinen Mann mit den langen Armen von der Seite an die Schulter, woraufhin der einen erst ärgerlichen, dann neugierigen Blick auf Henri warf. Er sagte kurz etwas zu seinem Gesprächspartner, dann wandte er sich von diesem ab, warf ihm über die Schulter noch einen Satzfetzen zu, um Henri endlich streng zu mustern.
»Das ist ein wichtiger Mitarbeiter unserer Handelsmission, Herr Georg Scheffer, der dafür sorgen soll, dass der Rubel in Richtung Westen rollt.«
Henri versuchte sich vorzustellen, wie goldglänzende Rubelmünzen mit dem sowjetischen Staatswappen auf der Rückseite durch Polen und die DDR nach Westdeutschland rollten. Er reichte Scheffer die Hand, der seinen festen Händedruck erwiderte. Sie gaben mit keinem Blick zu erkennen, dass sie schon lange vertraut waren miteinander. »Ich versuche, dem Kollegen Gebold ein bisschen zu helfen. Pressearbeit, Sie kennen das gewiss.«
»Ein neues Gesicht, wie interessant. Ich hoffe, Sie kommen gut zurecht in Moskau. Eine faszinierende Stadt, ein faszinierendes Land, groß, einzigartig, modern und
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