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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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rettungslos zurückgeblieben, großzügig und kleinlich bis zum Exzess. Und wenn Sie erst versuchen wollen, die Politik zu verstehen, zu begreifen, was indiesem Geheimzirkel namens Politbüro wirklich gedacht und gesprochen wird, dann stehen Sie meistens auf dem Schlauch.«
    Im Augenwinkel erkannte Henri, dass Irina näher gekommen war. Sie schaute fast demonstrativ in eine andere Richtung. Ihr Profil war perfekt, ein wenig orientalisch. Was wollte sie von ihm? Dann gab er sich zu, wie schlau Gebold – oder hatte Scheffer es so veranlasst? – dieses Treffen eingefädelt hatte. In aller Öffentlichkeit und doch ganz unauffällig.
    »Vielleicht sollten wir uns mal bei einer ruhigeren Gelegenheit treffen, damit Sie mich in die Geheimnisse dieses Landes einführen können?«, fragte Henri mit recht lauter Stimme.
    »Gerne«, sagte Scheffer geradezu fröhlich. »Ich werde dann auch Sie mit meiner Begeisterung nerven. Ich bin schon so viele Jahre hier und habe mir längst den Ruf eingehandelt, in Wahrheit ein verkappter Möchtegern-Sowjetbürger zu sein.« Auch er sprach lauter als am Anfang. »Oder ein Sowjetmissionar.« Er hatte eine leicht kehlige Stimme, die kaum hörbar rieb, als bereitete ihm das Sprechen ein klein wenig Mühe.
    »Sie kennen bestimmt ein Lokal, in dem Sie mich in diese Geheimnisse einführen könnten.«
    »Na, ein Geheimnis haben Sie schon fast enthüllt.« Er grinste und warf einen kurzen Blick auf Irina, die sich langsam wie zufällig weiter näherte. Scheffer schüttelte fast unmerklich den Kopf, Henri verstand es als Warnung vor Irina. Warum hatte Gebold nichts gesagt? Wollte er Henri ins Messer laufen lassen?
    Sie verabredeten, dass Scheffer sich demnächst bei Henri in der Botschaft meldete. Während sie nun gezielt über Belangloses sprachen, beäugte Henri den alten Freund. Der würde sein Partner sein, sobald Gebold abgezogen und Henri für seine eigentliche Aufgabe bereit war. Er spürte die Ungeduld in ihm wachsen. Der kannte sich offenbar wirklich gut aus hier. Er sprachperfekt Russisch, und Henri beschloss, sein Russisch in den kommenden Wochen aufzubessern. »Kennen Sie hier einen guten Russischlehrer?«
    Scheffer nickte. »Ich weiß schon, wen ich Ihnen empfehlen werde. Es ist ein Professor für Russische Literatur, der sich sein Gehalt ein wenig aufbessert, indem er Ausländern auf die Sprünge hilft. Ich rufe Sie morgen an und gebe Ihnen seine Adresse. Vorher frage ich ihn, ob er Zeit für einen neuen Schüler hat.« Er senkte die Stimme etwas. »Zahlen Sie die Stunden in D-Mark.«
    Irina stand nun neben ihnen. »Wir haben unser Gespräch leider nicht beenden können«, sagte sie, als er sie anschaute. »Kann ich irgendwo auf Sie warten?«
    »Gut«, unterbrach Scheffer. »Ich rufe Sie an.« Er lächelte, dann wandelte sich das Lächeln in ein Grinsen, das Henri sagte: Viel Vergnügen mit der Dame, nur glauben Sie ihr kein Wort, und lassen Sie sich bloß nicht mit ihr ein. Er winkte lässig und ging, um sich gleich ins nächste Gespräch zu verwickeln.
    »Ich sollte Ihnen helfen«, sagte Henri. »Gerne. Was kann ich tun?«
    »Das kann ich Ihnen« – sie schaute sich um – »hier schlecht sagen. Haben Sie denn nachher noch ein wenig Zeit? Oder … haben Sie jetzt noch Verpflichtungen?«
    Gebold, der sich davongestohlen hatte, als Henri und Scheffer miteinander sprachen, warf Henri einen strengen Blick zu. Gebold stand am Büfett, hatte einen übervollen Teller in der Hand, mit Sicherheit nicht den ersten, und ein Champagnerglas in der anderen.
    Irina hakte sich bei Henri ein, als wäre es selbstverständlich.
    »Heute Abend bin ich leider schon sehr müde. Ich bin ja gerade erst aus Deutschland gekommen.«
    »Das ist schade«, sagte sie. »Dann wollen Sie mir also nicht helfen?«
    »Vielleicht finden wir hier einen stillen Platz, wo Sie mir kurz erklären können, um was es geht?«
    Ärger huschte über ihr Gesicht und verflog so schnell, wie er gekommen war. Sie war kaum geschminkt, wie Henri erst jetzt feststellte, und hatte eine sanfte, regelmäßige Gesichtshaut, um die sie viele Filmschauspielerinnen beneidet hätten. Sie war die Versuchung pur.
    Sie zog ihn am Ellbogen nach draußen auf die Straße. Die Kälte traf ihn brutal, und er fragte sich, wie sie es in ihrem dünnen Kleid aushielt. Aber sie ließ sich nichts anmerken. Ihre Brustwarzen zeichneten sich ab.
    Auf der Straße, neben dem Eingang, sagte sie leise und schnell: »Mein Bruder sitzt in Kolyma. Wissen Sie, was

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