Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
Mittvierziger mit sorgfältiggegelten schwarzen Haaren und ausgeprägten Augenbrauen, ihm zulächelte.
    Gebold wandte sich an Henri. »Darf ich Ihnen Herrn Rachmanow vorstellen, den stellvertretenden Vorsitzenden des Rundfunkkomitees? Das ist Herr Martenthaler, gerade aus der Bundesrepublik angereist, wie ich Ihnen ja schon gesagt habe.«
    Henri reichte Rachmanow die Hand. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Wir werden bestimmt einiges miteinander zu tun haben.« Sein Russisch war doch nicht so schlecht. Ein bisschen holprig, und auswendig gelernte Floskeln machten es Henri leichter.
    Rachmanow lächelte ihn an. »Da bin ich mir ganz sicher, dass wir viel miteinander zu tun haben werden. Auf gute Zusammenarbeit. Wenn Sie Lust haben, besuchen Sie mich doch einmal.« Das sagte er auf Deutsch. Aber es war ja auch ein Empfang für Industriemanager aus der Bundesrepublik.
    »Gerne«, sagte Henri. Der Mann gefiel ihm, er war offen, schien Ausländern nicht zu misstrauen wie so viele Sowjetbürger, die überall den Feind witterten. Sie unterhielten sich über die Bundesrepublik, in der Rachmanow gewesen war. Er schätze vor allem das Rheinland, Bonn und Köln, auch Koblenz. Er hatte eine Schiffstour auf dem Strom gemacht, kannte die Lorelei und wusste in farbiger Sprache von seinen Aufenthalten zu berichten. Plötzlich verfinsterte sich sein Gesicht. »Wie schade, dass unsere beiden Länder fast wieder … verfeindet sind … so sagt man doch?«
    »Ja, aber finden Sie das nicht übertrieben? Wir sind keine Feinde.«
    »Sie müssen das verstehen. Meine Regierung und unser Volk haben wirklich Angst, dass die Amerikaner einen Krieg anfangen. Das ist keine Propaganda. Wir sind sehr nervös. Wir verstehen nicht, warum der Westen so aggressiv ist …«
    »Entschuldigen Sie, Herr Rachmanow …«
    »Ist Ihnen das Thema zu ernst, Herr Martenthaler?« Er schaute ihn freundlich an, aber in seinen Augen lag Entschlossenheit.
    »Das meine ich nicht«, sagte Henri, den dieser Ausbruch überraschte. »Ich meine, Ihr Land hat doch die letzte Runde begonnen. Unser Kanzler ist kein Kriegshetzer.«
    »Natürlich nicht«, sagte Rachmanow.
    Gebold hüstelte. Er ließ sein blasiertes Gesicht von einem zum anderen wandern und zeigte deutlich, was er von dieser Diskussion hielt. Er verschwand in Richtung Büfett.
    »Wissen Sie, Herr Martenthaler, Ihr Kanzler, ich meine natürlich Bundeskanzler Schmidt, der leider gerade gestürzt wurde, ist weniger besorgt wegen sowjetischer Raketen. Natürlich ist die Vorstellung nicht angenehm, dass Atomraketen auf das eigene Land gerichtet sind. Niemand mag das. Wir auch nicht. Aber unsere Atomraketen, diese modernisierten Waffen, die bedrohen die Amerikaner nicht. Für die ändert sich nichts. Sie behalten ihren Vorsprung, vor allem – meine Regierung dürfte es ungern hören, wenn ich es eingestehe – den Vorsprung bei mikroelektronischen Steuergeräten. Ihr ehemaliger Kanzler, den ich für einen sehr klugen Mann halte, der fürchtet, im Kriegsfall könnten die USA die Westdeutschen im Stich lassen. Und deswegen will er amerikanische Atomraketen in Europa, damit der große Verbündete von Anfang an in einen Krieg verwickelt wird. Herr Schmidt glaubt, das erhöhe die Abschreckung. Es erhöht aber nur« – er blickte sich um – »unsere … Verzweiflung. Entschuldigung, ich habe zu lange gesprochen.«
    Henri winkte ab. Was der Mann sagte, klang ehrlich. Er konnte ihm nicht übel nehmen, dass er die Dinge aus Moskauer Sicht bewertete. »Dann rüsten Sie diese SS 20 ab, und niemand muss Angst haben.«
    Rachmanow schaute sich wieder um. »Sie kennen die Kubakrise. Da haben wir, das war kein Geniestreich, ich gebe es zu, Atomraketen auf Kuba aufgestellt. Und Washington konnte es nicht dulden, dass diese Rake ten binnen weniger Minuten in den USA einschlagen konnten … so sagt man doch, oder? Ich finde, die Ame rikaner hatten damals recht.« Er sagte es leise, aber eindringlich. Fürchtete er, dass seine Argumente abgehört wurden, oder war das seine Art, ihre Wichtigkeit zu betonen? Leise sprechen, um den anderen zu zwingen zuzuhören?
    »Wenn Sie den Amerikanern entgegenkämen …«
    »Wissen Sie, Herr Martenthaler, unser Generalsekretär ist gestorben. Er war ein Mann des Friedens. Er hat der Sowjetunion Stabilität gebracht, das war nach den Chruschtschow-Jahren wichtig. Vielleicht« – er senkte die Stimme – »hat er ein bisschen zu viel Stabilität gebracht. Wer jetzt kommt, ich weiß es nicht.

Weitere Kostenlose Bücher