Das Moskau-Spiel
eine Kette war es nicht. Das war eindeutig Mord.«
»Die haben den Mann überfahren, nachdem er tot war.«
»Ja.«
»Dieses Obduktionsergebnis ist eindeutig?«
»Absolut.«
Wladimir tauchte aus den Nebelschwaden auf und stellte Gläser auf den Tisch, Wodka und Wasser, dann zog er brummend ab.
»Er ist eifersüchtig«, sagte Theo.
»Auf jeden«, sagte sie.
»Warum erzählen Sie mir das alles?«
»Weil es meine Pflicht ist.«
»Haben Sie keine Angst?«
»Selten. Sie werden mich nicht verraten. Und wenn doch, dann streite ich alles ab. Wlad hat Sie nie gesehen. Der hat in der Sowjetzeit gesessen, asoziales Element, er hasst alle Behörden und belügt sie aus Prinzip. Und wenn ich ihn noch darum bitte …«
»Nicht nötig«, sagte er. »Er wurde also ermordet. An den Oberarmen … fixiert und dann erdrosselt.«
»Sie sollten Gerichtsmediziner werden.«
»Gewiss, aber nicht in Russland.«
»Glauben Sie mir, wir haben viel Spaß.«
Theo überlegte sich, was es bedeuten konnte, in der Gerichtsmedizin viel Spaß zu haben.
»Und der Professor?«
»Der ist eigentlich in Ordnung. Wenn man davon absieht, dass er ein Feigling ist. Hat sich plötzlich krankgemeldet. Sieht ihm ähnlich.«
»Wie finde ich Belege, ohne Sie zu belasten?«
»Ganz einfach. Wenn Sie Experten haben, die Fotofälschungen entlarven können, sollten die das hinkriegen. Die Würgemale und Oberarmstriemen wurden retuschiert. Ich habe irgendwo gelesen, dass man Bildfälschungen beweisen kann, sogar auf Digitalfotos.«
»Sie sind ja richtig auf dem Laufenden!«
»War diese Bemerkung nun frauenfeindlich oder russenfeindlich oder beides?«
»Wahrscheinlich beides.«
Sie lachten.
Man trifft selten einen Menschen, mit dem man sich gleich versteht. Das gilt vor allem für jemanden, der bei Frauen schüchtern wird. Er staunte, dass es zwischen ihnen keine Barriere gab, die abzutragen wäre.
Der Mann am Tresen grölte nicht mehr, er lehnte an der Wand und schien langsam zusammenzusacken. Niemand beachtete ihn. Fünf von gut zehn Tischen waren besetzt, ein Pärchen, sie fast zwergenhaft, er wenig größer, aber fast so breit wie lang, zwei Männer, der eine mit einem Rasputinbart, der andere mit Glatze, ein Kranz von drei alten Frauen, jede ein Bierglas vor sich, und zwei einsame Trinker mit je hundert Gramm Wodka, die aber nicht die erste Fuhre gewesen waren.
»Nastrowje!«, sagte sie und hob ihr Glas.
Sie stießen miteinander an. Theo war so ungestüm, dass er ein paar Tropfen auf dem Tisch verkleckerte. Er hatte Angst vor dem Alkohol und sehnte sich gleichzeitig danach. Der Wodka brannte in der Kehle, aber sonst bewirkte er nichts. Erst einmal. Eilig trank Theo einen großen Schluck Wasser.
Wladimir stellte die Pelmeni auf den Tisch, dazu eine Schale mit Sauerrahm, darauf Blattpetersilie. Er sah Theo feindselig an und zog ab.
»Sie sollten ihm nachher nicht in einer einsamen Gasse begegnen.« Sie lachte wieder, das schien sie gern zu tun.
Theo ließ seine Hände zittern.
»Na, ich werde Wlad sagen, dass eine Leiche ausDeutschland pro Woche reicht. Das wird ihn überzeugen.« Sie zuckte, dann sagte sie: »Entschuldigung, ich bin … taktlos. Kannten Sie ihn?«
Theo schüttelte den Kopf. »Kaum.« Er zögerte. »Und wer ist der Mörder, genauer gesagt, wer sind die Mörder? Es waren ja mindestens zwei. Einer, der ihn festhielt, ein anderer, der ihn erwürgte.«
»Nicht unbedingt. Wenn ihn einer fesselte und dann erwürgte … Aber wahrscheinlich haben Sie recht. Wer es war, keine Ahnung. Die Leiche wurde angeliefert, und als sie feststellten, dass sich der Mord schwer vertuschen ließ, haben sie einen Trupp Miliz geschickt mit einem Zettel, der sie autorisierte, die Leiche mitzunehmen. Einen Tag später kam ein Polizist und brachte die Urne. Offen gesagt, ich wäre mir nicht sicher, ob das wirklich seine Asche ist.«
»Also stecken Behörden dahinter.«
»Sie sind ja richtig schlau!«, sagte sie und riss die Augen auf, als würde sie ihn bewundern. »Es ist in Russland meist nicht die Frage, ob es die Behörden waren, sondern welche. Natürlich wollen wir uns dem Ausland gegenüber keine Blöße geben, und deshalb stehen wir dann wie ein Mann zusammen, wenn solche Leute wie Sie anrücken. Sonst aber kratzen wir uns gegenseitig die Augen aus. Die Polizisten, die den Leichnam abgeholt haben, damit er verbrannt wurde, haben das auf Befehl von oben gemacht. Derjenige, der das befohlen hat, hat es wiederum auf Befehl von weiter oben
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