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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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mindestens ein Auto fuhr, dessen Besatzung per Funk unterrichtet wurde, welche Richtung er nahm. Henri hatte schon mehrfach gehört von dieser Methode, und im Vorbereitungslehrgang hatten die Dozenten sie eingehend erörtert. Aber sie hatten ihm nicht verraten, wie er jetzt davonkommen könnte, ohne es aussehen zu lassen wie eine Flucht. Er schaute auf die Uhr. Noch zweidreiviertel Stunden, und der Tank war voll. Aus Moskau kam er nicht hinaus, die Ausfallstraßen wurden kontrolliert.
    Er musste improvisieren. Du bist verrückt, schalt er sich. Neu in Moskau und schon auf Achse. Im Auto in einem Straßenlabyrinth, an der Leine des KGB . Das hast du gut gemacht, Henri. Er schniefte, einmal lang, einmal kurz. Ich könnte so Morsezeichen versenden. Irgendwo tief in ihm wühlte es, er wusste, es war die Panikattacke, die sich vorbereitete. Dräng sie weg, solange es geht. Ein Spion, der vorm Autofahren Schiss hat, ein Held auf Moskaus Straßen. Großartig.
    Der Regen war ein paar Minuten schwächer geworden, dann wurde er wieder zum Sturzbach, die Scheibenwischer konnten die Flut nicht mehr bewältigen. Immer nur kurz sah Henri Ausschnitte der Fahrbahn. Im Rückspiegel erkannte er Schemen, es schimmerte weiß, das war wohl der Lada, der ihm unbeirrt folgte wie eine mobile Erinnerung daran, dass er im fremden Revier wilderte. Wie wurde er sie los? Normalerweise würde er mindestens zwei Stunden durch die Gegend fahren, mal hier aussteigen, mal dort. Aber das ging jetzt nicht. Er musste sich der Lage anpassen. Indem er tat, was einer bei einem solchem Wetter tun konnte. Er hatte keinen Plan, aber eine Idee. Immerhin. Er schaute auf den Stadtplan, aber es nutzte nichts, da er nicht wusste, wo er war. Er linste durch die hektisch wedelnden Scheibenwischer, sah, dass an der Straßenseite Parkplätze waren, und fuhr vorsichtig an den Rand. Er blieb lange sitzen, beobachtete die Umgebung, ohne wirklich etwas zu erkennen. Bisher verhielt er sich wie ein Autofahrer in einer fremden Stadt, der abwarten wollte, bis der Regen nachließ. Er kurbelte die beschlagene Seitenscheibe hinunter und starrte durch das Wasser wie durch eine Milchglasscheibe. Es regnete ins Auto, er wurde nass, aber er hatte etwas gesehen, das er versuchen konnte. Wenn es schiefging, dann hatte er immerhin noch einen Versuch. Er schaute auf die Armbanduhr. Er würde kein Risiko eingehen und seinen Kontakt, wenn es denn einer war, nicht in Gefahr bringen. Aber wann konnte er sicher sein, dass er sie abgeschüttelt hatte? Er steckte den Stadtplan in die Innentasche.
    Er atmete tief durch, sammelte alle Kraft, dann stieß er die Tür auf und rannte durch ein anschwellendes Hupkonzert über die Straße, hinein in eine Gasse, er hatte schon befürchtet, sie wäre eine Einfahrt in einen geschlossenen Hof, sah eine Gaststätte, riss die Tür auf, erkannte, dass es einen hinteren Ausgang gab, schoss zur Tür, sprang hinaus und rannte eine Seitenstraße hinunter, bog ab, entdeckte eine offene Garageneinfahrt, die ins Untergeschoss führte, und lief hinein. Er stellte sich mit dem Rücken an der Wand innen neben den Eingang und linste hinaus. Er wartete und schaute immer wieder auf die Uhr. In solchen Situation kann man sich nicht auf sein Zeitgefühl verlassen, da kommen einem die Sekunden vor wie Minuten. Er musste warten, um sicherzugehen, dass er sie abgehängt hatte. Alles in ihm drängte weiterzulaufen, aber was für einen Sinn sollte es haben, wie ein Blinder durch die Gegend zu hasten?
    Eine Frau in einem Plastikumhang schleppte eine schwer beladene Einkaufstasche vorbei und verschwand im Regen. Ein gebückter kleiner Mann, eingemummt, schlich humpelnd vorbei, er starrte nur nach vorn durch dicke Brillengläser.
    Binnen weniger Sekunden wurde aus der Sturzflut vom Himmel ein Rinnsal. Hinter grauen Wolken sah Henri ein Leuchten. Die Sonne, tatsächlich, es gab sie noch. Henri fühlte die Nässe im Rücken, das Wasser war am Kragen eingedrungen, aber sonst hatte ihn der Mantel weitgehend trocken gehalten. Er fror. Wie um die Nachwirkung des Regens zu verstärken, begann nun ein eiskalter Wind zu pfeifen. Er riss die schwarzgrauen Wolken auf und trieb die Fetzen weg von Moskaus Himmel, der sich bläute und die Sonne auf die Stadt scheinen ließ, als wäre es nie anders gewesen. Die Straße dampfte. Aber fernab am Horizont ballte sich schon die nächste Sintflut. Sie wartete, dass der Wind sie über Moskau schob.
    Henri sah wieder auf die Uhr, gerade fünf Minuten

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