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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Botschaft. Er hatte in der Nacht überlegt, ob er alles richtig verstanden hatte. Ihm war ärgerlicherweise klar geworden, dass Mavick intellektuell durchaus ein Schwergewicht war und dass das, was er so verhalten vorgetragen hatte, von einer bestechenden Logik war, wenn man die Grundprämissen einmal akzeptierte. Vor allem wenn man hinzudachte, was Mavick nicht gesagt hatte. Henri kam sich vor wie einer, dem man eine entsicherte Handgranate in die Faust gelegt hatte, die drei Sekunden, nachdem er sie geworfen hatte, explodieren würde, um ihre tödlichen Splitter nach allen Seiten zu verstreuen. Er konnte sie nicht ewig in der Hand behalten, aber auch nicht werfen. Was hatten die Pullacher sich da nur wieder einfallen lassen? Natürlich hatte er gleich nach dem Frühstück einen Brief an Klein geschrieben, sich aber entschlossen, ihn mit der Diplomatenpost zu schicken, auch wenn es länger dauerte. Sicher ist sicher.
    Einen Augenblick hatte er die Möglichkeit erwogen, dass Mavick ein Doppelagent war, der versuchte die Verbündeten gegeneinander auszuspielen. Aber so dumm konnte keiner sein, es wäre bald aufgeflogen, und Mavick war definitiv kein Idiot. Er hasste die Gelassenheit, mit der dieser Lackaffe seine letzten Weisheiten verkündete. Er diskutierte nicht, er deklarierte im Bewusstsein, dass er sowieso recht hatte.
    »Trinken Sie einen Kaffee mit mir«, sagte Henri. Und sie setzte sich in die Besucherecke. Heute war sie wieder besonders hübsch, hatte einen dunkelblauen Hosenanzug an, der ihre langen Beine betonte. So, wie sie sich bewegte, wusste sie, wie sie wirkte. Henri mochte dieses Spiel, auch wenn er sich oft zu steif vorkam, zu verklemmt, um sich ganz einzulassen auf die zwei- und doch eindeutigen Wortwechsel, auf das Lächeln im richtigen Moment, auf die Blickwechsel, die orientierungslos schienen, aber einem klaren Muster folgten. Sie goss sich einen Kaffee ein aus der Thermoskanne, die Henriin der Küche gefüllt hatte. Dann rührte sie Zucker in ihre Tasse und sagte eine Weile nichts mehr.
    »Wir müssen diese Tour unbedingt machen. Wir zeigen uns gegenseitig, was wir noch nicht kennen. Da haben wir eine Menge zu tun, ist ja keine Kleinstadt.«
    »Es gibt Schlimmeres«, sagte sie. »Sie sehen müde aus.«
    Er nickte. »Neue Stadt, schlechter Schlaf. Ist eine Frage der Eingewöhnung.« Aber an Mavick oder seine Pläne würde er sich nie gewöhnen. Was sollte er tun, wenn Kleins Antwort ausfiel wie zu befürchten? Die neue Bonner Regierung wollte gewiss die Zweifel an der Bündnistreue der Westdeutschen ausräumen, die sich in der Selbstzerstörung der Vorgängerkoalition und den riesigen Friedensdemonstrationen gezeigt hatten, was Henri beides als Zeichen politischer Hilflosigkeit erschienen war.
    »Sie sind ja wirklich ganz woanders, im Kopf, meine ich. Störe ich Sie?«
    Henri schüttelte den Kopf. »Nein, ganz gewiss nicht.«
    »Haben Sie denn schon Ihren Freund Towaritsch gefüttert?«
    »Den besten Spion, den das KGB je hatte!« Henri lachte, als er sich vorstellte, wie finstere sowjetische Geheimpolizisten die Katze mit Minikameras und superempfindlichen Mikrofonen vollgestopft hatten. Eine Revolution der Implantationschirurgie, ein Zeichen der Überlegenheit sowjetischer Technologie. Er überlegte, wie die Prawda-Schlagzeile aussehen könnte.
    Sie lachte mit. »Aber so einen Spion muss man doch mögen.«
    Und Henri dachte: Eigentlich wissen wir nichts, das wir den Amerikanern weiterleiten könnten. Vielleicht hier und da etwas Halbseidenes aus Gesprächen. Aber wirkliche Fakten waren Fehlanzeige dank Gebold. Und vom Projekt R-33 würde Henri niemandem etwas berichten außer Klein in München.
    Am späten Nachmittag nahm er zum zweiten Mal die Metro-Linie 7, stieg am Bahnhof Oktjabrskoje Pole aus und ging im dichten Schneetreiben zum »Generalsviertel«, wie er es nannte, weil dort viele Straßen nach Marschällen und Generalen der Sowjetunion benannt waren, sogar Tuchatschewskis Name war dort verewigt, eines der prominenten Opfer der Jeschowtschina. Die klassizistischen Fassaden mussten schon den Zaren gesehen haben. Sie waren schmutzig und da, wo der Schnee liegen blieb, weiß garniert. Henri hatte bei der ersten Fahrt hierhin überlegt, ob er sich diese Tour weiterhin zumuten sollte, aber nachdem er den Professor erlebt hatte, erübrigte sich jedes Zweifeln. Der Mann bewohnte ein Zimmer mit Kochplatte und Klo im Hinterhof eines mächtigen Gebäudekomplexes, in dem zur Straße hin eine

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