Das Moskau-Spiel
bestimmt einen Weg finden, unsere Zusammenarbeit zu verbessern. Wir müssen es einfach.« Er klang so sanft wie ein Wolf, der Kreide gefressen hatte. Er wollte in Henri einen dummen Jungen sehen, der durch geduldiges Zureden auf den rechten Pfad geführt werden konnte.
Dieser hundserbärmliche Dreckskerl, dachte Henri. Und diese Bekloppten in Pullach, die mich zwingen wollen, diesem Kerl nicht gleich in die Eier zu treten, sondern den Dienstboten für ihn zu spielen.
»Unsere Regierungen wollen ihren Gegner ganz genau kennenlernen.« Er hatte geradezu eine sanfte Stimme, mit der er nun auf Henri einredete. »Nicht um Krieg zu führen, das liegt uns ferner als alles andere. Sondern um zu wissen, woran wir sind. Wir müssen unsere Bürger schützen, und wir haben es mit einem gefährlichen Gegner zu tun, dessen Gesellschaft und Wirtschaft völlig versumpft sind, ausgenommen das Militär.« Er schaute Henri eindringlich an, wie um zu prüfen, ob der es wirklich verstanden hatte.
Henri war wütend, aber er ließ es sich nicht anmerken.
»Wir würden uns freuen, wenn Sie uns alle Informationen mit irgendeinem Bezug zu den genannten Themen weiterreichen könnten.«
»Und ihr gebt uns gar nichts, wie gehabt«, dachte Henri.
Gebold nickte wieder eifrig.
»Ist ein bisschen eine Einbahnstraße«, sagte Henri dann doch.
»Keineswegs. Wir werten es aus, und Pullach erhält unsere Auswertungen.«
Aber keine Informationen, dachte Henri.
Auf der Rückfahrt zur Botschaft, während sich Gebold über Solidarität und Dankbarkeit ausließ, entschied sich Henri, den Amerikanern möglichst gar nichts zu liefern. Er würde zurückhalten, was immer er zurückhalten konnte, auch wenn Pullach ihm vorwerfen sollte, nichts zustande zu bringen. Doch ihn beschäftigte viel mehr, was die Amerikaner bewogen haben mochte, so aggressiv vorzugehen. Was, verdammt, haben sie im Sinn? Henri hatte die Diskussionen über die neue Stra tegie der USA genau verfolgt. Und er begriff, dass sich tatsächlich eine Wende anbahnte. Dass Washington den Stier bei den Hörnern nehmen wollte. Dass sie dort über legten, wie sie die Sowjetunion besiegen könnten, politisch, wirtschaftlich und offenbar auch militärisch. Zu Tode rüsten, wehrlos machen, sie technologisch abhängen. Henri glaubte nicht, dass verrückte Generäle begierig nur darauf warteten, den roten Knopf zu drücken. Aber was würden sie tun, wenn sie überzeugt wären, es könnte funktionieren? Würden sie der Versuchung widerstehen können? Würden sie nicht fürchten, die große Chance käme vielleicht nie wieder und spätere Generationen würden sie als die Versager brandmarken, die eine einmalige historische Gelegenheit aus Feigheit und Dummheit nicht genutzt hatten? Henri konnte sich gut vorstellen, wie diese Leute dachten. Sie mussten die Möglichkeit, einen Atomkrieg zu führen, als die ultimative Befreiung von der aufgezwungenen Knebelung der vergangenen Jahrzehnte empfinden.
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Als der Generalleutnant Eblow am Abend in seinem Büro den Bericht las, nickte er einige Male leicht, wie um zu bekräftigen, was er da erfuhr. Es lief alles nach Plan. Sie waren gerade dabei, eine gute Idee zu verwirklichen. Eblow kam sich vor wie einer dieser großartigen russischen Schachspieler, und Sonja, was war sie eigentlich, der Bauer, den er opferte, oder die Dame, die das Spiel entschied? Er freute sich schon auf das Spektakel. Er wäre als Profi zwar gerne ohne es ausgekommen, aber nun, da es sein musste, gewann er ihm durchaus etwas ab. Eine kleine Geschichte für das Lehrbuch der Spionage, das er leider nie schreiben würde und das, wenn doch, nie veröffentlicht werden würde. Eigentlich schade. Eblow zwirbelte seinen nicht mehr vorhandenen Schnurrbart, lächelte vor sich hin und stellte sich ans Fenster, wie so oft, wenn die Nacht hereinbrach.
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»Sie sind mir noch eine Moskautour schuldig«, sagte Angela Morgenstern. »Sie sehen, ich vergesse nie etwas, und schon gar nicht, wenn jemand mir was schuldet.«
Henri hatte an diesem Morgen die meiste Zeit an die Wand gestarrt, dann hatte er Towaritsch gefüttert, der, als wollte er sich bedanken, tatsächlich aufgetaucht war und die tägliche Gabe schon hinnahm, als wäre sie sein selbstverständliches Recht. Doch streicheln ließ er sich nicht, er hielt immer einen Sicherheitsabstand ein, der ein klein wenig länger war als Henris Arm. Aber sogar im Hof war Henri geistig wo anders, nämlich bei dem absurden Treffen in der US
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