Das Mozart-Mysterium
Stelle ab. Von Therese erfuhr ich später, dass ich längere Zeit weggetreten gewesen war. Der Angreifer hatte ihr kein Haar gekrümmt, sie hatte nur noch rasche, sich entfernende Schritte gehört.
Gerade als ich das Bewusstsein wiedererlangte, nahte erneut Fackelschein, diesmal war es Mozart. Er war sehr besorgt. Gemeinsam mit Therese half er mir auf die Beine. Ich fühlte Nässe in meinem Haar und sah, dass meine Hand blutig war, als ich sie vom Kopf zurückzog. Ich bestand aber darauf, mit den anderen zusammen weiterzusuchen, um nicht der Grund für einen vorzeitigen Abbruch der Aktion zu sein.
Wir stiegen also wieder langsam den Tunnel hinauf und nahmen alle Grabnischen in Augenschein. Als wir erneut an dem tönernen Sarkophag angelangt waren und Mozart auf ein Neues den Deckel zur Seite schob, um meinen Bericht zu bestätigen, fiel mir etwas auf: »Moment: Könnte der Name im verwitterten Schriftzug vielleicht ›Serenus Graecus‹ geheißen haben?«
Mozart untersuchte die eingeritzte Schrift. »Tatsächlich. Könnte sein … Aber was bedeutet das?«
»Erkennen Sie das nicht? Das Rätsel Mizlers, das uns hierher geführt hat, war ein Brief von Seneca an den Apostel Paulus, der zur Verschlüsselung mit Serenus angesprochen wurde. Paulus war in Griechenland geboren und in Rom als Märtyrer umgebracht worden. Könnte es nicht sein, dass auch die Gefolgschaft des Paulus von dem Briefwechsel wusste und den Tarnnamen zum Schutz der Gebeine weiterverwendete, damit nur der engste Kreis der frühen Christen den Ort kannte?«
»Unglaublich! Ja, das könnte stimmen! Deswegen auch der eingeritzte Fisch darunter, das Geheimzeichen der frühen Christen! Aber gibt es nicht in Rom ein berühmtes Paulusgrab?«
»Kann sein, aber vielleicht wurde das römische Grab nur als Täuschung errichtet, um die Gebeine Paulus’ vor Diebstahl und Zerstörung durch die Verfolger zu schützen, die ja seinen Tod als Märtyrer verursacht haben.«
»Mein Gott! Aber dann müsste doch hier auch das Versteck sein!«
Mir kam ein Gedanke: Ich hatte zunächst das Versteck im Sarkophag selbst vermutet. Was wäre, wenn es sich unter dem Behältnis befände?
Der Maestro und ich schickten uns also an, den Sarkophag aus der Nische herauszuheben, jeder eine Seite haltend.
Er war schwer, unser erster Versuch scheiterte und wir ließen wieder davon ab. Therese kam uns nun zu Hilfe, denn sie hatte in der gegenüberliegenden Nische Eisenteile entdeckt, die vielleicht ehemals zum Schutz der Nische gedient hatten und nun in ihre Bestandteile zerfallen waren. Ein langer Eisenstab davon war jedoch noch recht stabil; wir nahmen ihn und schoben ihn an einer Seite unter den Sarkophag. Gemeinsam ergriffen wir den Stab und wuchteten den Behälter unter Ächzen und Stöhnen erfolgreich in die Höhe, sodass eine Vertiefung darunter sichtbar wurde.
Ich rief Therese zu: »Rasch, lang’ hinein!«
Sie beugte sich vor und griff in die Mulde, um ein in Leder gebundenes Buch herauszunehmen. Genau in diesem Moment brach die Eisenstange! Wenige Zoll neben Therese ging der schwere Sarkophag mit einem lauten Knall nieder. Ein Regen aus feinen Steinsplittern stob aus der Nische und eine Staubwolke umhüllte uns.
Wir schrien entsetzt auf und sprangen zurück. Als sich der Staub legte und wir festgestellt hatten, dass wir unverletzt waren, schlug Therese das schöne Buch auf, das sie unter dem Sarkophag gefunden hatte. »Es ist ein Heft mit italienischem Titel! Innen stehen handgeschriebene Noten; der Titel lautet:
›Sonata per il clavicembalo
di Conte Giacomo de Lucchesini.
Socio de la Società di corrispondenza per le
scienze musicali
1738‹
Mozart, der mehrerer toter und lebender Sprachen mächtig war – neben Latein auch Italienisch und Französisch –, trat zu ihr und nahm das Buch in seine Hände. »Aha! ›Sonate für Cembalo von Graf Giacomo de Lucchesini. Mitglied der korrespondierenden Gesellschaft der musikalischen Wissenschaften‹.«
Gebannt blätterte er durch die Notenseiten, bis er auf ein loses Blatt stieß. Wie ich unschwer erkennen konnte, war es das nächste Rätsel, mit Tinte auf ein Blatt Papier notiert. Mozart suchte weiter, da er auch das Gesetz der unsterblichen Melodie finden und notieren musste.
Endlich entdeckte er einen mit abweichender Farbe geschriebenen Satz, nun in deutscher Sprache: »Hier: ›Jeder Tonabstand der Melodia perfetta darf nicht größer sein als etwa eine Oktave, um das menschliche Ohr, das im Gesange
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