Das Mozart-Mysterium
geschulet ist, in seiner Erinnerungskraft und der Vorstellung nicht zu überfordern‹.«
Dieses Gesetz war in anderer Handschrift als das vorige Rätsel und die Eintragung des vorigen Gesetzes geschrieben, auch war es mehrfach korrigiert worden. Vermutlich ein Beleg, dass Lucchesini des Deutschen in Schriftform nur bedingt mächtig war und das Gesetz selbst formuliert, auf Deutsch notiert und korrigiert hatte.
Mozart schrieb den Satz in sein Notizbuch (das er selbst sein Philosophen-Büchlein nannte, da auf einem schönen Kupferstich, der in Mozarts Arbeitszimmer hing, der Philosoph Leibniz in ein ebensolches, sehr kleines Büchlein hineinschrieb).
Da wir den Sarkophag ohne die Stange, die nun entzwei war, nicht mehr anheben konnten, mussten wir das Notenbuch Lucchesinis in den Sarkophag selbst legen, in der Hoffnung, dass es kein Unberechtigter finden und entwenden würde.
Eines lastete noch auf meiner Seele: »Ich würde zu gerne wissen, wer mir hier drinnen so zugesetzt hat und weshalb! Hoffentlich wird unser Unterfangen nicht von diesem Menschen zunichtegemacht.«
Mozart war ratlos.
Als wir wieder außen ankamen, sahen wir, dass die Sonne bereits tief stand. Mein Körper sehnte sich nach Stärkung und mein Kopf und meine Glieder schmerzten. Erschöpft und trotz erfolgreicher Suche unter dieser großen inneren Anspannung traten wir den Heimweg an.
Im Keller von Schloss Aigen. Ein Kreis von Gestalten in Kapuzenmänteln umringt einen Einzelnen, der ihnen Bericht erstattet: »Es sind leider alle noch am Leben. Doch: Es gibt eine tödliche Intrige innerhalb der Societät, die uns von Nutzen sein kann. Es steht außer Zweifel, dass Mozart scheitern wird. Die Macht der feindlichen Loge wird zerfließen und im Erdreich versickern wie giftiges, flüssiges Silber.«
Zirkusgestalten
Ich hatte Therese nach Hause begleitet, deren Dienerschaft meine Wunde gründlich versorgte, und begab mich gleich darauf zu Mozart.
Wir aßen zu Abend (wie immer begeisterte mich die Küche) und zogen uns dann in das Arbeitszimmer zurück, wo mir ein Branntwein erlaubt wurde und Mozart seine Pfeife ansteckte, sodass bald der blaue Nebel durch das Zimmer waberte. Die Sonne war lange untergegangen und wir steckten die Leuchter an.
Der Maestro holte seine Unterlagen aus dem sicher verschlossenen Schreibpult. »Also dann, David, hier ist das Rätselblatt aus Lucchesinis Mitgliedsgabe:
› Sie tanzte einst
Für einen Großen
Der legte ihr
Ein Haupt zu Füßen.
Darauf ein Herrscher
Unsrer Zeit
Schenkte ihr
Sein eigen’.
Doch denen,
Die im Circus sind,
Liegen nun
Die Schätze
Zu den Füßen .‹
Ich dachte nach, konnte mir aber keinen Reim darauf machen. Zunächst versuchten der Maestro und ich, einen Hinweis auf das Zahlenalphabet oder eine Zahlenverschlüsselung zu finden, und verbrachten damit gut eine Stunde. Ohne Erfolg.
Mozart hatte schließlich einen Einfall. Zögernd legte er seine Vermutung dar: »Also: Die Person, die für einen großen Mann tanzte und daraufhin von ihm ein Haupt erhielt, könnte die biblische Salome sein … Sie tanzte für Herodes und bekam von ihm dafür das Haupt von Johannes dem Täufer. Was dies für uns bedeuten soll, ist mir jedoch ein Rätsel.«
Ich war beeindruckt. Aber was bedeutete das Übrige? »Ich glaube, Herr Mozart, wir müssen dem Zirkus einen Besuch abstatten. Es gibt doch seit einiger Zeit ein fest installiertes Zelt am Stadtrand, in dem immer wieder Schausteller, Dompteure und wandernde Theaterleute Vorführungen geben.«
»Da könnten Sie recht haben. Vielleicht gibt es ja dort eine schöne Salome? Ich hoffe nur, dass sie nicht unsere Köpfe rollen lassen will!« Er sagte dies schmunzelnd, doch mit beklommenem Unterton.
Erschöpft und voll innerer Unruhe zogen wir uns in die Schlafgemächer zurück. Wie in der Nacht zuvor plagten mich heftige Albträume.
Ich befand mich in tiefer Dunkelheit. Vor und hinter mir sah ich Lichter, die in zwei Reihen links und rechts von mir angeordnet waren. Ich ging auf eines zu und erkannte eine Fackel, die in einer Halterung steckte, die wiederum an einer steinernen Wand befestigt war. Die Fackel beleuchtete eine Gipsbüste in einer Wandnische. Ich sah nun, dass die scheinbar unendlich langen Lichterketten ebenfalls Fackeln waren, die Porträtbüsten in einem weiten und unendlich hohen Tunnel erhellten, der weder Anfang noch Ende zu haben schien. Ich war eingeschüchtert und hatte große Angst, denn kein Ausweg tat sich
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