Das Mozart-Mysterium
durchdrang die Stille! Der Porträtierte hatte sich bewegt. Als sei es ein Erker, entstieg der groteske Mann dem Rahmen und sprang ins Zimmer, mit gebleckten Zähnen zu uns herüber grinsend. Es war Lucchesini.
Mizler warnt
25. Oktober
Am nächsten Morgen erwachte ich wie gerädert, die ganze Nacht hatten mich wirre Träume gequält. Beim Frühstück konnte ich kaum einen Bissen zu mir nehmen, mein Magen war wie zugeschnürt. Auch Therese und Mozart waren bedrückt und sprachen kaum ein Wort.
Noch am Tisch holte ich den Kupferstich hervor, um ihn nochmals zu betrachten, in der Hoffnung, doch einen Hinweis zu finden.
Der Stich stellte, fein ausgearbeitet, die Innenansicht eines großen Saales dar, von dem drei Wände zu sehen waren samt den daran aufgehängten Gemälden.
Die Bildunterschrift bestand aus einigen rätselhaften Worten, die wohl einen Hinweis darstellten:
›Deine Krone ist nah.‹
Keiner von uns konnte dem Satz eine sinnvolle Bedeutung beimessen.
Thereses Dienerin klopfte und trat ein. »Gnä’ Frau, ein Brief ist eingetroffen.«
Therese nahm das Schreiben entgegen und reichte es sogleich an Mozart weiter, denn es war an ihn adressiert. Wir unterbrachen also unsere Beratung. Mozart gab eine Äußerung des Erstaunens von sich und teilte uns mit, dass der Brief von Mizler sei. Er las uns das Schreiben vor:
»›Lieber Herr Mozart,
bitte gestatten Sie es mir, dass ich mich in das Verfahren Ihrer Aufnahme in die Mizler’sche Societät einmische. Die jüngsten Entwicklungen geben mir Anlass und Grund, darauf hinzuweisen, dass Sie und ich in dieser Welt große Neider haben, die auch der Societät übelwollen. Da ich nur überaus große und gute Dinge über Sie gehört habe und es mir wichtig ist, Sie zukünftig ein Mitglied unserer Societät nennen zu können, möchte ich Sie dringlichst warnen und rate Ihnen, während der Lösung der Rätsel Leib und Leben besonders zu schützen und nie alleine das Haus zu verlassen. Bitte teilen Sie keinesfalls Ergebnisse und Erkenntnisse (auch die gefundenen Gesetze der idealen Melodie) dritten Personen mit. Dies ist zwar keine Bedingung für die Aufnahme in unserer Societät, wird Sie, lieber Mozart, aber länger am Leben erhalten.
Hochachtungsvoll,
Lorenz Christoph Mizler von Kolof‹.«
Wir waren wie vor den Kopf gestoßen! Sicher hatten wir alle gewusst, dass eine gewisse Gefahr bestand. Dass diese aber so groß und dauerhaft war, dass Mizler selbst uns warnte, erfüllte uns mit großer Besorgnis. Zumal das Datum des Briefes zeigte, dass dieser bereits vor drei Tagen verfasst worden war. Betretenes Schweigen lag im Raum.
Endlich raffte sich der Maestro auf: »Liebe Freunde, ich möchte einigen Personen nun doch auf den Zahn fühlen, um die wahren Hintergründe ihres Treibens zu erfahren. Ich werde den Geheimrat einladen. Therese, darf ich mit ihm ein Treffen in Ihrem Hause vereinbaren?«
Sie stimmte sofort zu, weniger zögerlich, als ich erhofft hatte, denn der lüsterne, alte Wolfenstein war mir suspekt. Mozart bat Therese um Briefpapier und eine Feder und setzte einen Brief an den Geheimrat auf. Therese übergab den ihn sofort an einen ihrer zahlreichen Hausangestellten, der persönlich zu Wolfenstein reiten und den Brief abgeben würde.
Mozart beschloss, zunächst den Fortgang der Bauarbeiten in der Getreidegasse in Augenschein zu nehmen. Er bat mich, ihn zu begleiten, wohl auch wegen seiner Sicherheit, und wir gingen zu Fuß zur Wohnung hinüber. Die Arbeiten waren noch in vollem Gange, aber der Vorarbeiter ließ uns wissen, dass wir morgen zurückkehren könnten, weil dann die Stabilität der Stützmauern wieder gewährleistet sei.
Da wir nun mitten in der Stadt waren, nahmen wir die Gelegenheit war, das erst vor Kurzem eröffnete Kaffeehaus von Anton Staiger in der Goldgasse zu besuchen. Es war hochmodern, eigens für den Kaffeegenuss Salons einzurichten, trotz vieler Kritiker des Kaffees, die die Wirkung dieses neuartigen Getränks auf den Menschen für sehr gefährlich hielten. Es hatte in den letzten Wochen sogar einen Leitartikel in der Salzburger Allgemeinen Zeitung – einem eher mageren Informationsblättchen – gegeben, in dem von einem Verein, den ›Adligen Damen zur Erhaltung des Wohls unserer Männer‹, gefordert wurde, Kaffeegenuss in der Öffentlichkeit mit einem Verbot zu belegen, da die Männer in den Kaffeehäusern ganze Tage verbrächten, angeblich die Zeit mit unnützen Diskussionen verschwendeten
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