Das Mozart-Mysterium
auf Wolfensteins Hilfe angewiesen waren, hatten wir keine andere Wahl, als in den sauren Apfel zu beißen und Wolfenstein auch das Rätselbild zu zeigen. Doch der Geheimrat war angesichts des Kupferstiches ratlos. Unsere Analyse, dass der indirekt durch den Satz ›Deine Krone ist nah‹ in der Bildunterschrift beschriebene Ort das Schloss Leopoldskron sei, fand er einleuchtend. Er wies uns mit Recht darauf hin, dass es erstaunlich und geradezu bedenklich sei, welchen finanziellen Aufwand die Societät auf sich nahm, um die Rätsel für Leopold Mozart zu entwerfen, war doch hier offensichtlich ein Kupferstich mit Rätselspruch allein für Leopold Mozart gedruckt worden!
Nichtsdestoweniger bat Mozart eindringlich darum, keine weitere Zeit zu verlieren. Also ließen wir die große Kutsche Thereses anspannen und machten uns alle zusammen auf den Weg.
Die Fahrt verlief recht kurzweilig, denn der Geheimrat gab ein Abenteuer nach dem anderen zum Besten. Seine Erzählweise war dabei so fesselnd, dass ich meine Bedenken ihm gegenüber fast völlig vergaß. Einzig störte ich mich daran, dass er unablässig Thereses Hand ergriff, wenn in seinen Geschichten etwas besonders Eindringliches vorkam. Auch als er von einer Liebesgeschichte sprach, die ihm jüngst während einer Kur widerfahren war, schenkte er meiner Freundin ausgesprochen viel Aufmerksamkeit.
Wir erreichten das Schloss, ohne viel von unserer Rätseljagd preisgegeben zu haben. Die Kutsche fuhr langsam in den Hof ein. Das große, nur aus einem ausgedehnten Gebäude bestehende Bauwerk sah beeindruckend aus! Es erhob sich vor der Kulisse des prachtvollen Berges; zwischen Berg und Schloss erstreckte sich eine Tiefebene, die wie eine Moorlandschaft aussah. Vor dem Anwesen lag ein See.
Therese hieß den Kutscher – dessen unrühmliche Bekanntschaft wir ja bereits zuvor gemacht hatten –, bei der Kutsche zu warten.
Der Geheimrat schickte sich an, an die große Tür zu klopfen, aber ehe er dazu kam, öffneten sich bereits beide Flügel und ein wohlgekleideter Diener trat vor, flankiert von zwei mit Lanzen bewehrten Wachen. Sie setzten die Lanzen mit einem metallischen Geräusch auf dem Boden ab. »Was beliebt?«
»Ich grüße Sie. Bitte melden Sie den Herrschaften den Königlichen Geheimrat von Wolfenstein aus Leipzig mit Gefolge.«
»Sehr wohl. Treten Sie ein.«
Der Diener ließ uns in der Vorhalle warten. Die zwei Wachen blieben bei uns und postierten sich an der Tür zum angrenzenden Raum. Wir hatten derweil Zeit, das Gebäude auf uns wirken zu lassen: Jede Wand, ja jede kleinste Ecke war kunstvoll mit bemaltem Stuck verziert. Allein die Vorhalle war mindestens zwei Stockwerke hoch und könnte ein ganzes Orchester mit Publikum aufnehmen.
Nach nur etwa einer Minute war der Diener zurück und bat uns mit einer tiefen Verbeugung, in den Hauptsaal einzutreten. Hinter uns traten die Wachen ein und blieben innen an der Tür stehen. Der zentral gelegene, große Festsaal öffnete sich nun vor uns, er war ebenso wie die Vorhalle zwei Stockwerke hoch. An allen Wänden hingen gerahmte, große Ölgemälde.
Mozart blickte mich mit leuchtenden Augen an, und auch ich hatte es bemerkt: Der Kupferstich stellte genau diesen Raum dar! Er war beinahe völlig unmöbliert, abgesehen von einem kleinen Tisch, der aufs Feinste mit vergoldeter Schnitzkunst verziert war. Am Tisch saß ein Mann, der mit Schreibarbeiten beschäftigt war, aber sogleich aufblickte und uns entgegensah. Er stand auf, um uns entgegenzutreten: Es war ein hagerer, vornehm gekleideter Herr reiferen Alters, mit enorm buschigem weißem Haarkranz, vom Aussehen eines Universitätsprofessors. Sein Gesicht zeigte kantige Züge. Kleine, wache Augen blitzten uns an, ohne eine eindeutige Gefühlsregung zu zeigen. Er sprach leicht gedehnt: »Ich grüße Sie! Treten Sie herein.«
Der Geheimrat trat vor: »Ehrwürdiger Herr, haben Sie herzlichen Dank, dass Sie uns empfangen.
»Bitte, gern.«
»Dürfen wir Sie mit einer kleinen, unwichtige Anfrage belästigen? Ich selbst bin zu Zeit auf Besuch in Salzburg. Mein guter Freund, Herr Hofmusikus Mozart, der mit mir hier ist, erzählte mir in diesen Tagen, dass Ihre Gemäldesammlung in Schloss Leopoldskron weithin berühmt sei. Also hatte ich, der ich ein passionierter Kunstsammler bin, den dringlichen Wunsch, Sie und Ihre Sammlung kennenzulernen.«
»Jaaa, das ist möglich.« Seine Aussprache klang so melancholisch, dass ich dachte, er würde gleich einen Trauerfall bekannt
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