Das Mozart-Mysterium
Boden und ließ sich nur an der Oberkante öffnen, also war es unmöglich, hindurchzugreifen und den weitaus tiefer befindlichen Griff der großen Fenster zu drehen.
Ich hatte einen Geistesblitz. Ich deutete Mozart an, näher an das Fenster zu treten und eine Räuberleiter für mich zu machen, damit ich an das gekippte Oberlicht herankonnte. Ich holte die aufgerollte Reserveschnur hervor, die ich zur Sicherheit ebenfalls eingesteckt hatte, und knüpfte an deren Ende eine weite Schlaufe. Als Mozart eine stabile Haltung eingenommen hatte und leicht in die Knie gegangen war, stellte ich meinen rechten Fuß auf seine vor dem Bauch gefalteten Hände. Da ich nicht sehr schwer war, konnte er trotz meines Gewichtes, das auf ihm lastete, aus der Hocke aufstehen und mich weiter nach oben schieben. Ich stützte mich mit dem anderen Fuß auf seiner Schulter ab – er hatte wohlweißlich für die heutige Unternehmung keine edle Kleidung gewählt, sodass ich kein schlechtes Gewissen haben musste. Ich schaffte es, mit meinem ausgestreckten Arm die Fensteröffnung zu erreichen, und ließ die Schlaufe der Schnur hindurchfallen. Langsam rollte ich die Schnur auf, bis die Schlaufe innen auf Höhe des querstehenden Fenstergriffes hing. Ich bewegte sie vorsichtig zum Griff hin, bis dieser in der Schlaufe steckte. Jetzt zog ich leicht an der Kordel und der Griff begann, sich mit leichtem Quietschen nach oben zu bewegen und mit ihm der Riegel, der das Fenster verschlossen hielt.
Als der Griff fast senkrecht stand, rutschte die Schlaufe nach oben weg. Ich rollte die Schnur wieder zusammen. Vorsichtig stieg ich wieder herab und zeigte dem erstaunten Maestro, dass sich nun das Fenster durch leichtes Drücken nach innen öffnen ließ, ganz ohne Beschädigung. Ich war froh, dass wir keinen größeren Schaden am Glas hinterließen, da Mizler vielleicht mit dem Schlossverwalter oder dem anderen Personal in Verbindung stand und von dem Einbruch erfahren würde, der sehr wahrscheinlich Mizlers strengen moralischen Grundsätzen diametral entgegengesetzt war. So aber hatten wir die Chance, unentdeckt zu bleiben.
Wir stiegen langsam durch das Fenster und kauerten uns im dunklen Saal auf den Boden, um aus der Deckung alles zu überblicken. Ich hoffte, dass sich niemand im Saal befand, denn eine kleine Person könnte sich leicht hinter den hohen Lehnsesseln verbergen.
Da ich Mozart noch nicht verraten hatte, wo ich das Versteck vermutete, ging ich leicht geduckt voran und er folgte mir. Ich betrachtete die Gemälde, die nur schattenhaft zu erkennen waren, und fand nach kurzer Zeit das Bild, nach dem ich gesucht hatte. Ich wies Mozart an, es etwas von der Wand wegzuziehen, damit ich dahinter greifen konnte. Ich konnte nichts erkennen, ließ aber meine Hand tastend über die Wand gleiten. Die Wand war glatt und hatte keinerlei Verstecke. Der Angstschweiß rann an mir herab; es war überhaupt nichts verborgen! Ich tastete das Bild an der Rückseite ab, ebenfalls ohne Ergebnis. Da wir keine Fackel bei uns hatten, konnten wir es nicht anleuchten, um etwaige Schriftzeichen auf dessen Rückseite zu erkennen. Ich deutete Mozart an, dass es vergeblich war. Mozart war entsetzt, dass ich nichts gefunden hatte. Ich selbst hatte jedoch noch Hoffnung, denn es gab eine weitere Möglichkeit für ein Versteck. Später würde ich Mozart den Grund erklären. Ich ging rasch quer durch den Raum zu einem anderen Bild; ohne auf den Maestro zu warten, hob ich es an und griff dahinter: im Rahmen steckte etwas! Unten, in der rechten Ecke, der reichlich von Staub bedeckt war, steckte ein dünnes Heft, das vielleicht 20 Seiten dick sein mochte. Ohne zu zögern, nahm ich es heraus. Es blieb uns keine Wahl, als das Heft mitzunehmen, da wir den Inhalt ohne Licht nicht lesen konnten. Ich hoffte, dass Mizler ein Entwenden der versteckten Mitgliedsgabe nicht missbilligen würde. Falls doch, könnten wir ihm das Heft später persönlich aushändigen, wenn Mozart alle Rätsel gelöst hätte und Mizler treffen würde, so wie er es Mozart in seinem ersten Brief mitgeteilt hatte.
Ich zeigte dem Maestro die Beute und signalisierte ihm, den Raum wieder zu verlassen. Genau in diesem Augenblick hörte ich den Ruf eines Käuzchens. Ich erstarrte, denn dies war das vereinbarte Warnsignal für uns. Mozart hatte den Ruf offensichtlich nicht wahrgenommen oder hatte schlicht vergessen, dass es das ausgemachte Zeichen war, und ging unverzagt auf das Fenster zu. Ich wollte ihn zurückhalten,
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