Das Mozart-Mysterium
notiert. Es war also nahezu sicher, dass auf dem Titelblatt der Hinweis auf den Ort des nächsten Versteckes verborgen sein musste.
»Der handschriftliche Zusatz ›Nur in der Kirche zu spielen‹ ist besonders auffällig«, meinte Therese.
Ich stimmte ihr zu: »In der Tat ist der Zusatz unverständlich und eigentlich unnötig, denn ein Choral ist natürlich Kirchenmusik, wird also zumeist in einer Kirche aufgeführt, zumal die Bearbeitung für eine Orgel geschrieben ist – es gibt sicherlich kaum eine, die nicht in einer Kirche steht, höchstens eine kleine Orgel im Hause des Organisten.«
Mozart pflichtete mir bei: »Es ist wenig einleuchtend, weshalb es nicht erlaubt sein sollte, das Werk außerhalb einer Kirche aufzuführen. Nein, dies muss ein verschlüsselter Hinweis sein.«
Einmal mehr hatte Therese einen Einfall von großem Wert: »Es muss sich um eine ganz bestimmte Kirche handeln: Die Kirche, in der das nächste Versteck ist!«
»Richtig«, meinte Mozart. »Kann vielleicht der Text des Chorals ein zusätzlicher Hinweis auf diese Kirche sein? Es heißt ›Der du bist drei in Einigkeit‹.«
Ich hatte Zweifel: »Es wird durch den Titel des Chorales ganz allgemein Gottes Name umschrieben, als ›Drei in Einigkeit‹, also Vater, Sohn und Heiliger Geist. Damit könnte jede einzelne Kirche Salzburgs gemeint sein.«
Leopold Mozart, der die Stadt von uns allen am besten kannte, war jedoch begeistert; er schüttelte den Kopf: »Nein: ›Drei in Einigkeit‹ muss die Dreieinigkeitskirche meinen! Es ist eine überaus bekannte und schöne Kirche!«
Damit hatten wir einen erheblichen Fortschritt errungen, doch keiner von uns wusste weiter als bis hier. Wo genau das Versteck in dem Gebäude war, mussten wir erst herausfinden.
Ich schlug vor, den Choral zu spielen – vielleicht ergaben sich dadurch neue Hinweise. Therese besaß ein großes Cembalo mit mehreren, übereinander angeordneten Tastaturen, sodass einige Ähnlichkeit mit einer Orgel gegeben war und sie auch Orgelstücke darauf spielen konnte. Eine Tastatur für die Füße, wie es Orgeln besaßen, hatte das Instrument aber nicht, sodass sie die untersten Noten, die für die Füße gedacht waren, auslassen musste. Therese setzte sich also hin und trug uns die Komposition vor.
Der Klang des Stückes begeisterte mich, es war eine sehr schöne und ausgewogene Komposition, die in ruhiger, gleichmäßiger Geschwindigkeit voranzufließen schien. Es war nichts daran auszusetzen oder auffällig, wodurch sich ein Hinweis auf das Rätsel ergeben könnte. Etwas fiel Therese auf, als sie aufgehört hatte, zu spielen: »Es ist seltsam, dass so wenige Fingerzahlen in den Noten markiert sind. Die genaue Bezeichnung der Finger ist doch wichtig für den Vortrag jeglicher Musik für Tasteninstrumente! Könnte dies nicht ein Hinweis auf die Verschlüsselung sein?«
Mozart meldete sich zu Wort: »Vielleicht, aber es könnte auch sein, dass in den Noten selbst ein Hinweis verborgen ist. Auch der gute, selige Bach hat doch seinen Namen am Ende seiner letzten Komposition, der Kunst der Fuge, in Noten gesetzt, als Notenfolge B-A-C-H. Ich habe erst vor wenigen Wochen den Notendruck erhalten, den ein Sohn Bachs nach dem Tode seines Vaters herausgegeben hat.«
Er hatte vollkommen recht. Denn: Die Notenzeichen entsprachen grundsätzlich unserem Alphabet von A bis H. Dazu gab es weitere, durch kleine Ergänzungszeichen (sogenannte Vorzeichen wie das Kreuz und das B) veränderte Noten, die wieder neue Buchstaben oder sogar Kombinationen von Buchstaben bedeuten konnten, wie Es, Fis, und Ähnliches.
Ich nahm mir also ein Blatt Papier und einen Stift und blätterte durch das Choralvorspiel Telemanns. Ich suchte nach den mit Rötel geschriebenen Fingerzahlen und notierte für jede Note, zu der die Zahl gehörte, den entsprechenden Notenbuchstaben. Es ergaben sich auf der ersten Seite genau vier Buchstaben: A, B, C, und H. Wieder hatten wir ein auf den ersten Blick völlig unverständliches Rätsel zu lösen.
»Nein, das kann es nicht sein«, sagte ich. »Ich versuche aber noch die Anordnung nach der Reihenfolge der Fingerzahlen anstatt nach der Reihenfolge, in der die Noten auftreten.«
Es gab bei Fingersätzen grundsätzlich nur die Zahlen Eins bis Fünf entsprechend der menschlichen Hand. Ich schrieb also einfach den entsprechenden Buchstaben der Note, über der die Zahl Eins stand, als Erstes auf, dann die Note beziehungsweise den zugehörigen Buchstaben, über der die Zwei
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