Das Mozart-Mysterium
zappelte, aber wir waren im Sumpf gelandet und er hatte keinen Boden mehr, um sich aufzurichten. Wir sanken beide immer tiefer in das kalte Moor ein. Mozart, der sich auf sicherem Grund befand, war aufgesprungen und streckte seine Arme aus, um mich zu erreichen. Er erwischte meinen linken Arm und zog mich zurück an Land. Der Bursche versuchte verzweifelt, sich an mir festzuklammern. Doch seine Hand rutschte immer wieder ab.
Mozart riss mich mit einem Ruck zurück und zog mich heraus aus dem Sumpf. Aus purer Not entwickelte er Bärenkräfte, die ich dem Musiker nie zugetraut hätte. Ächzend fiel ich wie ein nasser Sack auf den Boden und blieb erschöpft liegen.
Mozart ließ mir aber keine Zeit, zu verschnaufen, sondern zerrte mich in die Höhe, weg von der Gefahr. Kraftlos strauchelnd ging ich ihm nach. Er folgte meinen alten Spuren im nassen Boden bis zu der Stelle, an der ich umgekehrt war. Es war ungewiss, welche Gefahren uns im dichten Nebel noch drohten. Ich vernahm das Schnauben von Pferden. Vor uns tauchte die Baumgruppe auf, hinter der wir die Tiere angebunden hatten.
Den Burschen hörten wir nicht mehr, entweder er folgte uns heimlich oder er war im Moor versunken. Ich hoffte Letzteres. Als wir bei den Pferden waren, griff ich rasch in meine Jacke, um nach dem Heft zu sehen, das ich im Schloss gefunden hatte. Es war noch da, aber zu meinem Entsetzen völlig durchnässt. Ich gab es Mozart, der es so gut als möglich abtrocknete und danach in seiner Jacke verbarg. Wegen des dichten Nebels mussten wir uns zunächst zu Fuß fortbewegen und die Pferde führen. Das Pferd des Burschen nahmen wir mit, denn es lag uns nichts daran, ihm die Rückkehr zu erleichtern, sollte er noch leben. Es bestand noch immer die Gefahr, dass er die Illuminaten informierte und diese mit vereinten Kräften einen Angriff auf uns verüben könnten.
Es stand uns in jedem Fall bevor, Therese zu erklären, dass sie einen Hausangestellten weniger hatte und dass dieser ein Bösewicht unter falschem Deckmantel gewesen war.
Der Ritt nach Hause erschien mir endlos lang. Am Haus angelangt, fanden wir Therese im Flur vor, schlafend in einem Sessel. Ich weckte sie sanft. Sie war zunächst verstört wegen meines desolaten Äußeren, aber sogleich erleichtert und froh, dass wir unverletzt von dieser Unternehmung zurückgekehrt waren. Ich erklärte ihr schonend, was vorgefallen war und dass sie sich leider einen neuen Kutscher suchen müsse.
Therese war entsetzt, dass ein solcher Unhold zu ihren Angestellten gezählt hatte, und bekräftigte sogleich, in Zukunft alles nötige für unsere Sicherheit zu tun. Erschöpft von dem Abenteuer der heutigen Nacht zogen wir uns in unsere Schlafgemächer zurück.
In einem dunklen und nur durch wenige Kerzen erleuchteten Gewölbekeller. Eine Gruppe Kapuzenmänner sitzt auf sich gegenüberliegenden Holzbänken mit hohen Rückwänden. Leises Murmeln ist zu hören.
Einer der Männer erhebt die Stimme: »Brüder! Hört meine Worte! Seit Anbeginn unsrer Gemeinschaft wollen die Freimaurer unseren Machtgewinn aufhalten, unsere Bruderschaft vernichten. Diesem Freimaurer Mozart, der immer mehr unseren Einfluss in Salzburg gefährdet, werden wir Einhalt gebieten, koste es, was es wolle. Es käme einer Katastrophe gleich, wenn er durch den Eintritt in Mizlers Societät weiter an Einfluss gewinnt. Lasst ihn und all’ seine Helfer grausam und elendig sterben!«
Sturz vom Altar
26. Oktober
Nach dem Frühstück, das vorerst unser letztes in Thereses Haus sein sollte, setzten wir uns zusammen, um das im Schloss gefundene Notenheft zu untersuchen. Ich las den Titel vor:
»› Georg Philipp Telemann
Choralvorspiel zu »Der du bist drei in Einigkeit«
Nürnberg 1754‹.«
In feiner, kalligrafischer Handschrift war hinzugefügt:
› Nur in der Kirche zu spielen .‹
Hinten auf der letzten Seite stand das Gesetz der idealen Melodie:
› In einer idealen Melodie ist mindestens eine Atempause als Einschnitt enthalten .‹
Ich blätterte durch das dünne Heft. Es war erkennbar, dass die Noten bereits für das Musizieren vorbereitet und Zahlen für die einzelnen Finger in Rötelstift darüber notiert worden waren. Scheinbar hatte der Musiker aber nur an wenigen Stellen die Fingerzahlen benötigt, denn es waren nur vereinzelt rote Eintragungen zu sehen. Leider waren, abgesehen vom Gesetz der idealen Melodie und den Eintragungen auf dem Titelblatt, überhaupt keine Worte in das Heft
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