Das Mozart-Mysterium
nächsten versteckten Gesetz führte?
Obwohl Leopold Mozart die volle nächste Stunde mit einer Analyse aller Details der Altäre zubrachte, konnte er keinerlei konkrete Hinweise, wie etwa gemalte Spruchbänder, entdecken. Da der Mesner einige Zeit in der Sakristei verschwunden war, konnte Mozart die Gehäuse und Konstruktion der Altäre auch daraufhin untersuchen, ob geheime Verstecke verborgen waren, doch er fand nichts.
Der Adlatus kehrte zu Leopold Mozart zurück, ebenfalls mit leeren Händen, gerade als jener etwas Ungewöhnliches bemerkte: Der zuvor bedeckte Himmel musste plötzlich aufgeklart haben, denn die tief stehende morgendliche Herbstsonne beschien die großen Fenster und leuchtete den gesamten Innenraum mit intensiven, geradezu fühlbaren Lichtstrahlen aus, in denen kleine Staubteilchen tanzten. Alle Unebenheiten des Innenraumes wurden jetzt durch scharfe Schattierungen sichtbar, insbesondere die Kerben in der in den Boden vor dem Hauptaltar eingelassenen Marmortafel, an der ein eiserner Ring befestigt war. Mozart glaubte, seinen Augen nicht zu trauen: Die Kerben in der Bodenplatte waren in Wahrheit feine, nur ganz flach eingehauene Buchstaben, die erst durch das helle Seitenlicht sichtbar geworden waren:
›200 Seelen rief der Herr zu sich an jenem Tag, als das Oberste zuunterst und das Unterste zuoberst gekehrt wurde.‹
Franz war verblüfft und sprach leise, als ob beide Zeugen einer wundersamen Erscheinung wären: »Faszinierend! Nur das schräg einfallende Licht macht die flachen Buchstaben sichtbar. Weshalb aber diese Heimlichtuerei? Es ist doch eine Gedenktafel für die Opfer des großen Unglückes des letzten Jahrhunderts. Ich wusste nicht, dass so viele Menschen dabei starben.«
Mozart erwiderte ebenfalls mit verhaltener Stimme: »Doch, ich hörte davon. Die Kirche, die ja auf einem breiten Sockel steht, wurde auf dem Unglücksort errichtet, wo im Jahr 1669 der zusammengestürzte Berg 13 Häuser und das voll besetzte Gebäude des Priesterseminars begraben hat. Es gab keinen einzigen Überlebenden. Es muss furchtbar gewesen sein.«
Franz stieß einen Laut der Überraschung aus, er erschrak selbst durch seinen Schrei: »Das Dreieck!«
Tatsächlich. Auch Mozart sah das winzige, in die Platte gehauene Dreieck, das aussah wie zusammengesetzt aus drei Steinen, insgesamt höchstens zwei Zoll im Durchmesser.
»Bei Gott«, sagte Franz. »Ist Ihnen bewusst, was dies bedeutet?«
»Nein.«
»Maestro, ich denke, ich muss Einiges offenbaren, bevor ich das Symbol erkläre.«
Wie mir Mozart später erzählte, beunruhigte ihn das nun folgende Schweigen des Adlatus sehr, denn er ahnte, dass Franz ihm etwas offenbaren würde, was alles bisher Bekannte in ein neues Licht stellen würde. Da ich selbst bereits in Hellbrunn vom Adlatus in seine geheime Verbindung zu den Freimaurern eingeweiht worden war, konnte mich dies alles nicht mehr überraschen.
Leopold Mozart war jedoch entsetzt, denn es dämmerte ihm, dass der Adlatus möglicherweise als Aufsicht in sein Haus eingeschleust worden war und seit vielen Jahren die Aktivitäten des Maestros verfolgt hatte. Als prominente Persönlichkeit, die zudem für den Erzbischof tätig war, musste Leopold Mozart eine herausragende Bedeutung für seine Loge gehabt haben, sodass ihm durch Franz im Geheimen zugleich ein Leibwächter und Beobachter der Freimaurer abgestellt worden war.
Jedenfalls machte der Adlatus deutlich (dessen oft eher herrschaftliches Auftreten und feine Lebensart sich in guter Kleidung und vornehmen Sitten manifestierte und auch Mozart oft verwundert hatte), dass er voll und ganz auf unserer Seite war. Hilfreich war natürlich, dass er ein umfassendes Wissen über die Illuminaten und sogar die Societät besaß: Wie er Mozart berichtete, stand die Societät wegen einigen für die Freimaurer beunruhigenden Aktivitäten, vor allem die verborgene Pythagoras-Verehrung, unter Beobachtung der Salzburger Freimaurer, um notfalls Bedrohungen von ihnen und auch Mozart abwenden zu können.
Der Adlatus erklärte in der Ursulinenkirche Mozart den Symbolgehalt des aus drei Steinen zusammengesetzten Dreiecks ›Tetraktys‹, das auf der Gedenktafel eingemeißelt war, als das Zeichen der Pythagoräer und Wappen der Mizler’schen Societät.
Mozart war durch all dies verunsichert, aber zugleich froh, einen Hinweis vor sich zu haben: »Dann muss hier das Versteck sein, in dem die Mitgliedsgabe der Societät mit dem nächsten Gesetz der idealen Melodie
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