Das Multiversum 1 Zeit
orangefarbenen Druckanzüge ab. Dann 354
schlüpften sie in leichte Overalls im NASA-Stil, die zwar nicht der aktuellen Mode entsprachen, dafür aber warm und praktisch waren und viele Taschen und Klettverschlüsse hatten. Die Druckanzüge stopften sie durch die Luke in die Wiedereintritts-Kapsel und verriegelten das Schott.
Michael musste man bei all diesen Verrichtungen Hilfestellung geben. Er war passiv und reaktionsträge wie ein wenige Wochen altes Kind. Die anderen bugsierten ihn herum und zogen ihn aus, säuberten und kleideten ihn wieder an, ohne dass er eine eigene Willensregung zeigte. Emma ließ Michael auf dem Operations-Deck und sorgte dafür, dass immer jemand da war, der auf ihn aufpasste.
Sie wurde sich bewusst, dass sie Michaels Anwesenheit an Bord nicht ganz uneigennützig betrachtete. Dass sie jemanden hatte, über den sie sich Gedanken machen konnte, lenkte sie nämlich von ihrer eigenen Orientierungslosigkeit ab.
Sie zog sich an der Feuerwehrstange nach oben – oder unten – zu den anderen beiden Abteilungen des Moduls. Die aus der ver-
änderlichen Vertikalen resultierende Desorientierung wurde gemil-dert, wenn sie sich zuvor ein paar Sekunden lang in der Null-G-Bucht aufhielt, um sich an die Schwerelosigkeit zu gewöhnen.
Dann vermochte sie aus dem Bewusstsein zu löschen, dass das Operations-Deck, das sich eben noch unten befunden hatte, nun oben war und dass die abwärts führende Leiter sie nun zu den anderen Decks brachte, die vorher über ihr waren.
Es klappte ganz gut, wenn sie nicht durchs Drahtgeflecht schaute und die Kameraden wie Kronleuchter von der Decke baumeln sah.
Das biowissenschaftliche Deck war eine Kombination aus Labor und Feldlazarett. Dort befand sich eine medizinische Ausrüstung, eine Kollektion von Pillen und Salben, Bandagen und aufblasbaren Schienen, dazu kompliziertere Ausrüstungsgegenstände wie einen Furcht erregend aussehenden Defibrillator. Der kleine Labor-355
bereich war weitgehend automatisiert und musste von der Besatzung nur aufgesucht werden, um regelmäßige Blut-und Urinpro-ben abzugeben. Alles war farblich codiert, mit Etiketten versehen und in kleine Plastikgeräte integriert, die man zwecks Reparatur und Austausch aus der Wand zu klappen vermochte.
Das unterste Deck – das sinnigerweise als ›Frischfleisch‹-Deck bezeichnet wurde –, schloss mit dem Außenschott ab und war somit am weitesten vom Schwerpunkt des Schiffs entfernt. Hier aßen und schliefen sie unter der maximalen Schwerkraft – die ungefähr der Mondgravitation mit einem Sechstel der Erdenschwere entsprach. Eine normale Bewegung war zwar nicht möglich, aber zumindest würde sie nicht bei der kleinsten Regung einen Stoß in die Seite bekommen.
Es gab Trainingsgeräte, klappbare Tretmühlen und einen Heim-trainer. Kojen waren ordentlich an der Wand aufgereiht. Für die Privatsphäre gab es Vorhänge, Schlafsäcke, außerdem Taschenlam-pen und kleine Fächer für persönliche Gegenstände. Beim Blick in eins dieser Fächer sah sie ein kleines Buch, einen tragbaren CD-Player mit Kopfhörer, Schlaf-Augenklappen und Ohrenstopfen, alles mit dem Bootstrap-Logo verziert. Es war putzig wie das Be-grüßungspaket einer Fluggesellschaft.
Der Lokus – genau genommen das Abfallentsorgungs-System – wirkte schon weniger putzig. Es handelte sich um das alte Space Shuttle-Design, ein ›Toilettenschüssel-Veteran‹ mit jahrzehntelanger Flugerfahrung. Er bestand aus einem Kasten mit einem Hebel und, gütiger Gott, einer Schaltfläche. Flüssige Abfälle wurden gesammelt und zwecks Recyclings abgepumpt. Feststoffe wurden nicht wiederverwertet; ein Ventil öffnete sich zum Vakuum des Raums, um die Fäkalien auszutrocknen, ehe sie über Bord gekippt wurden. Wenn sie am Hebel zog, wurde das Ventil geöffnet und Luft in den Kasten gesaugt, wobei große Schaufeln bedrohlich ro-tierten.
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Sie nahm besorgt zur Kenntnis, dass die Toilette nur vier Mal am Tag benutzt werden konnte. Sie befürchtete, dass das zumindest in der Anfangsphase nicht ausreichte.
Jedes Besatzungsmitglied hatte einen persönlichen Hygiene-Satz, der ebenfalls an ein Präsent einer Fluggesellschaft erinnerte: eine Klappzahnbürste, Zahnpasta, Zahnseide, Nagelschere, Seife, ein Kamm, eine Bürste, Anti-Herpes-Lippenstift, Hautlotion, Deostift, eine Tube Rasiercreme und ein Rasierapparat, der kurioserweise von einem Uhrwerk angetrieben wurde. Es gab auch eine kleine Vorrichtung zum Händewaschen: ein Loch in der Wand,
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