Das Multiversum 1 Zeit
Man verwehrte ihnen auch jeden Kontakt zu anderen Kindern, ob Blau oder nicht.
Es wurden sogar in verschwiegenen Labors Experimente durchgeführt, um den Ursprung der Blauen Fähigkeiten durch chirurgi-sche Eingriffe auszumerzen. Genauer gesagt durch Leukotomie.
Diese Maßnahmen hatten jedoch keinen Erfolg, richteten allenfalls Schaden an.
Sinn und Zweck dieser Aktionen war Kontrolle, wie Maura erkannte: Die Leute versuchten mit verschiedenen Strategien die Kontrolle über ihre Kinder wiederzuerlangen, über das Schicksal der Spezies, über ihre Zukunft.
Aber es war vergebens. Weil nämlich dort oben, sagte sie sich, in diesem silbernen Fleck im Mondstaub die Zukunft entschieden wird …
Derweil ging jede Nacht der Mond auf, der auf die eine oder andere Art von amerikanischen Kindern kolonisiert wurde. Und die Bilder dieser seltsamen silbernen Kuppel auf der Mondoberfläche, die von den unermüdlich kreisenden Weltraumteleskopen wie ein Quecksilbertropfen dargestellt wurde, waren sichtbare Symbole der Unfähigkeit der Regierung – ganz Amerikas –, dieses Problem zu lösen.
Aber sie musste wenigstens ihre Aufgaben bewältigen, sagte Maura sich und versuchte wieder ihrer Verantwortung gerecht zu werden, die ihr manchmal über den Kopf zu wachsen drohte.
516
Schließlich haben wir selbst im schlimmsten Fall noch zwei Jahrhunderte.
Reid Malenfant:
… fiel in Licht, ein gleißendes weißes Licht, das heller als Sonnenlicht über dem Helm zusammenschlug. Er kniff sofort die Augen zu, sah aber noch immer ein rosig-weißes Glühen durch die geschlossenen Lider, als ob man ihn ins Feuer geworfen hätte. Er hatte keine feste Oberfläche unter sich. Er fiel durch den Raum.
Vielleicht hatte er sich von Cruithne abgestoßen.
Emma krümmte sich und entglitt ihm. Er griff nach ihr und aalte sich in diesem Bad aus blendendem Licht, aber sie blieb verschwunden.
Er spürte einen Anflug von Panik. Der Atem ging stoßweise, und die Muskeln verkrampften sich. Er hatte Emma verloren, er hatte keine Ahnung, wo Cornelius steckte, er hatte keine Standflä-
che und keinen Bezugspunkt außerhalb des Anzugs.
Und all das spielte sich in absoluter Stille ab.
Irgendetwas war schief gegangen. Total schief gegangen. Wieso waren sie Sheena nicht zu ihrer grandiosen Vision der zukünftigen Galaxis nachgefolgt? Wo war Michael. Wo war er?
Tu etwas, Malenfant.
Der Anzugsfunk.
»Emma? Cornelius? Bitte antwortet, wenn ihr da seid, antwortet.
Emma …« Er rief immer wieder und fummelte an den Reglern herum, um den Empfang zu verbessern. Nichts als statisches Rauschen.
Er versuchte, die Augen einen Spalt weit zu öffnen. Nichts außer blendendem Licht. War es etwas trüber, etwas gelber als vorhin? …
517
Oder lag es nur daran, dass die Augen ausbrannten, dass diese Eintrübung die ewige Dunkelheit einleitete?
Du musst nicht gleich das Schlimmste annehmen, Malenfant.
Nur dass es im Moment wirklich nicht rosig aussah. Er versuchte den Atem zu beruhigen und die Muskeln zu entspannen. Er musste die Ressourcen des Anzugs schonen. Er suchte den Versor-gungsnippel im Helm und sog Orangensaft aus dem Tank. Er war so heiß, dass er ihm fast die Zunge verbrannte, aber er behielt den Saft so lange im Mund, bis er sich abgekühlt hatte und schluckte ihn dann hinunter.
Plötzlich hörte er ein so starkes Rauschen im Kopfhörer, dass er zusammenzuckte. »… Emma?«
Aber es war nur der Hauptalarm des Anzugs, ein penetranter Dauerton. Er riskierte wieder einen kurzen Blick – die Flut aus gelbweißem Licht schien nicht mehr ganz so heftig zu lodern – und sah, dass auf dem ganzen Headup-Display an der Innenseite des Helms rote Lichter leuchteten. Er berührte die Schaltfläche auf der Brust – mein Gott, er spürte die Hitze sogar durch die Handschuhe – und schaltete den Alarm ab.
Er wusste auch so, was los war. Dieses Licht und die Hitze brandeten von allen Seiten gegen ihn an. Weil es nirgends Schatten gab, vermochte der Anzug die überschüssige Wärme nicht abzuführen.
Es roch brenzlig, wie in einer trockenen Sauna. Der Sauerstoff, der ihm übers Gesicht strich, hatte Ähnlichkeit mit einem Wüsten-wind. Aber er musste natürlich atmen; er sog die Luft in die Lunge und versuchte den Schmerz im Hals und in der Brust zu ignorieren. Sogar der Schweiß, der ihm in der Mikrogravitation in gro-
ßen Tropfen an der Stirn klebte, schien kurz vor dem Siedepunkt zu stehen; er schüttelte den Kopf, damit der Schweiß abperlte.
Der
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