Das Multiversum 1 Zeit
auf ihn wirkten und leichte erratische Richtungsänderungen bewirkten.
Zwischenzeitlich hatte das Licht sich stetig abgeschwächt, sodass das Gelb nun zunehmend zu Orange anstatt zu Weiß tendierte.
Malenfant kam sich vor wie in einer riesigen Eisenkugel, die bis zur Weißglut erhitzt worden war und sich nun schnell abkühlte.
Die Leine zu Cornelius hatte die Funktion eines Ankers, um den Malenfant sich zu ziehen vermochte. Wie ein verdammter Trapez-künstler, sagte er sich. Er drehte sich und versuchte, in diesem erkaltenden dreidimensionalen Raum irgendwo Emma auszumachen.
Und da war sie: sogar noch näher als Cornelius, nicht mehr als zehn Meter entfernt. Sie trieb mit gespreizten Gliedern direkt über ihm. Das goldene Helmvisier war geschlossen. Das zerschmetterte 521
Bein blutete noch immer; Tröpfchen quollen stoßweise heraus. Sie drehte sich langsam, als ob ihre Wunde eine Rakete wäre, ein kleines Steuertriebwerk, das von Blut angetrieben wurde.
Malenfant bekam eine zweite Leine zu fassen, prüfte den Felshaken und ließ ihn über dem Kopf kreisen.
Es gelang ihm, die Leine so zu werfen, dass sie über Emmas Brust streifte, doch im Gegensatz zu Cornelius machte sie keine Anstalten, die Leine zu fangen. Er würde sie ohne ihre Mithilfe sichern müssen. Er zielte auf ihr unversehrtes Bein und gab mehr Leine. Wenn er ihr Bein zu treffen vermochte, würde die Leine wegen des Trägheitsmoments des Felshakens sich vielleicht ein paarmal ums Bein wickeln.
Er versuchte es und verfehlte sie. Versuchte es erneut und traf wieder nicht.
Außerdem wurde ihm das Zielen durch Cornelius' Annäherung erschwert. Und dann wurde Malenfant sich – reichlich spät – bewusst, dass Cornelius ihn von Emma weg zog, auf ihren gemeinsamen Schwerpunkt zu. Mit finsterem Blick überbrückte Malenfant die wenigen Meter, die ihn noch vom verbissen arbeitenden Cornelius trennten. »Cornelius, warten Sie eine Minute. Sehen Sie denn nicht, was ich hier mache? Lassen Sie die Leine locker …«
Cornelius reagierte nicht. Malenfant versuchte ihn mit Handzei-chen auf Distanz zu halten. Doch das schien Cornelius genauso wenig zu sehen.
Leise fluchend setzte Malenfant die Arbeit fort.
Es bedurfte noch ein paar Versuche und genauso vieler frustrie-render Fehlschüsse, ehe es Malenfant schließlich gelang, die Leine um Emmas Fuß zu wickeln. Weil die Leine sich gleich wieder zu lösen drohte, setzte Malenfant alles auf eine Karte und riss an der Leine.
Sie löste sich.
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Aber es hatte ausgereicht, wie er mit großer Erleichterung sah; Emma, die noch immer rotierte und mit gespreizten Gliedern in der passiven Haltung verharrte, driftete auf ihn zu. Er holte die Leine hastig ein und schlang sie sich um den Arm.
Sie glitt wie eine Gestalt in einem Traum einen halben Meter an ihm vorbei. Er griff nach ihr und packte sie am Bein. Dann zog er sie auf sich zu, bis er sie wieder in den Armen hielt. Unter seiner behandschuhten Hand bröckelte etwas von Emmas Anzug ab. Es war eine dünne Schicht aus weißem Staub.
Unbeholfen klappte er das Visier hoch. Dann sah er ihr Gesicht.
Es leuchtete im Widerschein des Himmels, der noch immer in hellem Orange glühte. Die Augen waren geschlossen, und die Haare, die unter der Astronautenhaube hervorlugten, klebten an der mit großen Schweißperlen bedeckten Stirn. Er hatte Schwierigkeiten, die Gesichtsfarbe zu erkennen, aber er hatte den Eindruck, dass ihr Gesicht rosig und verbrannt und an manchen Stellen – an Wangen und Kinn – sogar mit Blasen bedeckt war. Er wollte spontan ihr Gesicht berühren, aber die behandschuhte Hand stieß na-türlich nur gegen das Glas des Helms.
… Genug. Es ging hier ums Überleben. Er nahm eine Leine und knotete sie sich und Emma um die Hüfte, damit sie nicht wieder auseinander trieben.
Was nun?
Emmas Bein. Es blutete noch immer, und das Blut quoll in kräftigen Stößen hervor. Sie brauchte einen Druckverband. Er knüpfte eine Schlinge aus dem Seil.
Plötzlich bekam er einen Schlag ins Kreuz. Natürlich war das Cornelius, der sich mit weiten unbeholfenen Griffen am Seil ent-langhangelte. Dann verspürte Malenfant einen Schlag am behelmten Hinterkopf und hörte eine gedämpfte Stimme, die durch Cornelius' und seinen eigenen Helm drang.
»… Sie das, Malenfant? Sind …«
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»Ja, ich bin's«, schrie Malenfant aus voller Kehle.
»… Portal. Haben Sie uns am Portal festgemacht?« Die Worte wurden stark gedämpft, als ob er durch eine Wand rief. »Das Portal.
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