Das Multiversum 1 Zeit
sich heran und platzierte sie im Kreis, sodass die Helme sich fast berührten. Sie drehten dem Stakkato der Lichtwellen den Rücken zu, und die Helmvisiere reflektierten das Flackern.
»Cornelius«, schrie Malenfant, obwohl der Lichtsturm völlig lautlos tobte. »Hören Sie mich?«
»Sagen Sie mir, was Sie sehen.«
Malenfant versuchte den pulsierenden Himmel zu beschreiben, und während er noch sprach, verlangsamten die weißroten Impulse sich für eine kurze Zeit; das Pumpen des Himmels wurde fast träge, wobei jeder Zyklus vielleicht drei oder vier Sekunden dauerte. Dann beschleunigten die Zyklen plötzlich wieder, und der sterbende Himmel verschwamm zu einer Kulisse aus gleißendem Licht.
»Kosmologien«, flüsterte Cornelius. »Phönix-Universen, die sich gegenseitig abstoßen und im Wechsel expandieren und kollabieren. Das Ende des einen ist der Anfang des anderen Universums.
Und die Gesetze der Physik werden jedes Mal neu gemischt, wenn wir aus einer Singularität der einheitlichen Kraft herauskommen.«
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»Aus einer was?«
»Aus einem Urknall. Oder der Singularität im Herzen eines Schwarzen Lochs. Die beiden Möglichkeiten, wie ein Universum aus einem anderen entsteht… Schwarze Löcher sind der Schlüssel, Malenfant. Ein Universum, das keine Schwarzen Löcher hervor-bringt, kann nur einen ›Nachkommen‹ erzeugen, und zwar durch einen Crunch. Ein Universum, das Schwarze Löcher hervorbringen kann, wie das unsre, kann viele Kinder bekommen: Baby-Universen, die durch Raumzeit-Nabelschnüre durch die Singularitäten im Zentrum Schwarzer Löcher mit der Mutter verbunden sind.
Wie ein Miniatur-Crunch im Zentrum jeden Lochs. Dort findet die kosmische Evolution wirklich statt … Wir sind privilegiert, Malenfant.«
»Privilegiert?« rief Malenfant. »Machen Sie Witze?«
»Wir beobachten die Entstehung von Universen. Das heißt, Sie tun das. Ein einmaliges Schauspiel.«
Die pulsierenden kosmischen Zusammenbrüche beschleunigten noch einmal; die Lichtwellen brandeten nun mit einer solchen Schnelligkeit vom Himmel gegen sie an, als ob sie in einer riesigen Stroboskop-Maschine eingeschlossen wären. Die drei Menschen hingen dort, eingerahmt vom blauen Ring, und die staubigen An-züge wurden ins Licht der Schöpfung und des Vergehens getaucht.
War das wirklich möglich? Dass Universen schneller geboren wurden und vergingen, als er einen Atemzug tat – als sei er ein gigantischer Gott?
Er drehte sich zu Emma um.
Sie verharrte noch immer in derselben Stellung. Er tippte auf die Schaltfläche an der Vorderseite ihres Anzugs, aber das sagte nur etwas über den Zustand des Anzugs aus. Das beschädigte Kleidungsstück erhielt mühsam seine Funktion aufrecht und meldete einen Flüssigkeitsverlust aus dem verletzten Bein. Er wagte es 538
nicht, ihr Visier zu lüften und einen Blick auf ihr Gesicht zu werfen. Das Visier erstrahlte im Licht sterbender Universen.
Cornelius rollte sich wieder zu einer Kugel zusammen. Vielleicht befand er sich in einer Art Schockzustand. Das wäre aber auch kein Wunder.
Wie kommt's, dass dein Kopf noch funktioniert, Malenfant?
Wenn Cornelius sich am liebsten irgendwo verkriechen würde, wieso nicht auch du?
Vielleicht, sagte er sich, lag es daran, dass er zu dumm war, um die Weiterungen ihrer Situation zu begreifen. Wenn er den gleichen Durchblick wie Cornelius gehabt hätte, dann hätte dieses Wissen ihn vielleicht überwältigt.
Dummheit war manchmal doch ein evolutionärer Vorteil.
»Cornelius. Wie fühlen Sie sich?«
»Ich heize mich auf. Diese Universen sind nicht langlebig genug, um den Anzügen die Abfuhr der überschüssigen Wärme zu ermöglichen.«
Malenfant lachte gezwungen. »Ich wette, diese Situation wird nicht von der Herstellergarantie abgedeckt.«
»Ich will Ihnen meinen Plan erklären«, flüsterte der wie ein Fö-
tus zusammengerollte Cornelius.
Die Intensität des Lichtsturms nahm zu. Malenfant schloss die Augen und beugte sich über Emma, um sie noch ein paar Sekunden länger zu schützen.
Der Anzugsalarm ertönte.
Und dann schaltete er sich von selbst ab.
Und der Lichtsturm erstarb.
Malenfant grunzte. Er öffnete die Augen und ließ den Blick schweifen.
Der Himmel kühlte sich in einer lautlosen Explosion aus Licht ab und trübte sich – wie erschöpft – von Gelb über Orange zu Rot ein. Schließlich dunkelte er sich zu einem bernsteinfarbenen Glü-
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hen ab, das so schwach war, dass Malenfant Probleme hatte, es mit den von der
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