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Das Multiversum 1 Zeit

Das Multiversum 1 Zeit

Titel: Das Multiversum 1 Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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verstrichen, saßen sie schweigend und Hand in Hand auf einer Bank.
    Maura befürchtete, in letzter Minute doch noch aufgehalten zu werden. Aber die Sorge war unbegründet. Wenigstens einmal schien sie durchs engmaschige Netz der Sicherheitsmaßnahmen zu schlüpfen. Wenn die Ereignisse sich förmlich überschlugen wie in diesem Fall, verloren alle Beteiligten die Übersicht, weil niemand wusste, an wen er sich wenden sollte.
    Und ihr Wunsch, die Kinder zu besuchen, wuchs sich zur Besessenheit aus. Sie waren das Zentrum aller Dinge, und bei ihnen zu sein, war ihre Pflicht – ihre tiefste Pflicht, die in den Rest der Mo-ralität eingebettet war, die sie sich noch bewahrt hatte.
    So fühlt Bill Tybee, ein Vater, sich vielleicht die ganze Zeit, sagte sie sich mit einem Anflug von Neid.
    Endlich schlossen die Türen des Busses sich. Maura wartete auf das leise Klappern, mit dem der Verbindungstunnel von der Seite des Busses zurückgezogen wurde, und dann rollte der Buss ruckend an und fuhr automatisch durch die aschgraue Mondland-schaft.
    Die Sonne stand hoch am Himmel, und das grelle Licht strömte ungefiltert in die komplexen Schluchten und Spalten der extrem zerklüfteten Oberfläche von Tycho.
    Bill zitterte, und in der schwachen Gravitation traten ihm große Schweißtropfen auf die Stirn. Sie stand auf und brachte ihm einen 601
    Plastikbecher Wasser. Langsam beruhigte er sich wieder. Fürs Erste waren sie sicher. In diesem gefährlichen Schluchtenlabyrinth war eine Verfolgungsjagd mit Bodenfahrzeugen unmöglich. Außerdem bezweifelte sie, dass angesichts der schwachen Militärpräsenz auf dem Mond die Kommandeure eine OberflächenOperation riskieren würden, um sie auf dem Weg nach Never-Never Land abzufan-gen.
    Zumal dafür auch gar keine Notwendigkeit bestand. Man musste nur abwarten, bis Maura und Bill Never-Never Land erreichten und sie dann hopsnehmen; es gab schließlich keinen anderen Ort, an den sie hätten gehen können.
    Egal, sie würde sich Gedanken wegen dieser Möglichkeit machen, wenn sie denn eintrat.
    Bill deutete nach oben. »Sehen Sie?«
    Ein Stern wanderte gemächlich über den Himmel. Er funkelte und pulsierte in einem langsamen Rhythmus. Er war natürlich künstlich: ein langsam rotierender Satellit, der neuer und größer war als alles, was sie bisher gesehen hatte. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, welchen Zweck er erfüllte.
    Sie schauderte und umklammerte Bills Arm.
    Seltsame Lichter am Himmel, sagte sie sich. Unheimlich. Selbst wenn wir sie dort platziert haben.
    Gerade weil wir sie dort platziert haben.
    ■
    Seltsamerweise war es leichter, Never-Never Land zu betreten als die NASA-Basis zu verlassen. Die Soldaten hier schienen Funkstille zu halten. Aber sie standen ohnehin effektiv unter Hausarrest, sobald sie Never-Never Land erreicht hatten, sagte Maura sich. Aus dem Fenster klettern ging schließlich nicht.
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    Also wurde ihr Einlass gewährt. Bill musste im Bus warten.
    Auf den ersten Blick hatte sich hier nichts verändert. Die Kuppel glühte im Himmelblau des Tageszyklus, Sonne und Erde hingen wie Laternen am Himmel, und das Gras leuchtete in einem satten Grün. Nach dem Grau des Monds war das fast ein Schock für die Sinne. Dennoch spürte Maura, dass etwas nicht stimmte. Die Luft war kühl, und sie hörte, dass die Blätter des dicken Eichenbaums raschelten. Von irgendwoher ertönte ein eigenartiger Schrei, vielleicht von einem Menschen, vielleicht von einem Tier.
    An der Innenluke der Luftschleuse stand der kräftige deutsche Soldat, den Maura von früheren Besuchen kennen und verab-scheuen gelernt hatte. Er befingerte den Revolver an der Hüfte.
    Anna stand vor ihm und redete auf ihn ein. Die Schwingen lagen hinter ihr auf dem Boden. Andere Kinder waren nicht zu sehen.
    Anna eilte zu Maura. »Sie müssen mir helfen. Ich versuche es ihm begreiflich zu machen.«
    Maura fasste Anna am Arm. »Was müssen wir verstehen?«
    »Was kommt.«
    Maura bekam eine Gänsehaut.
    Sie warf einen Blick auf den Soldaten. Er starrte Anna an. Lüstern, sagte Maura sich unbehaglich, lüstern und stumm.
    Anna führte sie tiefer in die Kuppel und redete auf sie ein. Satz-fragmente und Wortfetzen kamen aus Annas Mund. Ab und zu fiel das Mädchen in eine Metasprache: Liedverse, ein paar ungelenke Tanzschritte. »Der Zeitpfeil«, sagte sie. »Innenzeit. Verstehen Sie? Das ist der Schlüssel. Wenn Sie die Augen schließen, spüren Sie Zeit. Sie haben das Gefühl, ewig zu leben. Zeit ist Voraussetzung

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