Das Multiversum 2 Raum
eingeschleppt hättest.« – »Wir haben ei-ne Telomerase-Therapie angewandt, um …«
»Genug. Ich glaube euch auch so. Ich wette, ich sehe keinen Tag älter aus als siebzig.«
»Das war reine Routine«, sagte ein Strubbelkopf-Zwilling. Sie verstummten. Dann: »Bist du wirklich Reid Malenfant?«
»Ja.«
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Die Zwillinge gaben ihm zu essen und zu trinken. Die heißen und kalten Flüssigkeiten, die sie ihm servierten, vermochte er nicht zu 454
identifizieren. Es handelte sich wahrscheinlich um Tees aus Früchten und Blättern. Er hielt sich lieber an Wasser, das kalt und rein war. Das Essen war geschmacklos und undefinierbar wie Babynah-rung. Die Strubbelkopf-Zwillinge sagten ihm, dass es aus Algen be-stünde, die mit etwas Vakuum-Grünzeug vom Baum gewürzt seien.
Die Zwillinge schoben ihn in der Mikrogravitation sachte durch verschlungene Tunnels wie hölzerne Adern, die nur durch eine Art Lumineszenz im Holz erhellt wurden. Es war wie ein Holzmodell eines Fantasy-Raumschiffs, sagte er sich.
Es gab hier ein paar Dutzend Kolonisten, die in Luftblasen im Baumstamm lebten. Sie waren alle an die Mikrogravitation angepasst, soweit er sah, wobei manche sogar noch weiter entwickelt waren als die Zwillinge. Da war ein Typ mit einem großen Schädel auf einem geschrumpften Rumpf, mit Gliedmaßen wie Stöcken und einem Penis wie eine Walnuss. Schambehaarung fehlte. Auf Malenfant wirkte er wie eine typische Science Fiction-Kreatur, wie das Chef-Alien in Invasion vom Mars.
Trotz des seltsamen Äußeren machten die Leute aber einen jungen und gesunden Eindruck auf Malenfant. Sie hatten eine glatte, faltenfreie und außer Tätowierungen makellose Haut. Sein ledriges Gesicht mit den Runzeln, die irdischem Wetter, ultraviolettem Licht und starker Gravitation geschuldet waren, war hier ein Kuriosum, ein Ausweis des Exotischen.
Sie alle hatten Mandelaugen und gelbe Haut.
Soweit Malenfant das beurteilen konnte, war dies eine Art Heimkehrer-Kolonie von den erdnahen Asteroiden, die von Nachkommen der Chinesen besiedelt worden waren. Im All schien es große Blasen-Habitate zu geben, deren Bewohner seit Jahrhunderten in der Schwerelosigkeit gelebt hatten.
Manchmal glaubte er ein leises Summen zu hören, einen Hauch von Ozon zu riechen und statische Elektrizität zu spüren, als ob er von starken elektrischen oder magnetischen Feldern umgeben 455
wäre, die ihn zwickten. Vielleicht stimmte das sogar. Mit elektromagnetischen Feldern vermochte man Muskeln und Knochen zu stimulieren und zu stärken und sogar Knochenschwund entgegen-zuwirken; die NASA hatte schon mit solchen Techniken experimentiert. Vielleicht badete der Baum seine menschliche Fracht in Elektrizität und hielt ihre Körper instand.
Aber vielleicht wurden so primitive Mittel tausend Jahre in der Zukunft gar nicht mehr benötigt. Schließlich bot der Baum eine gesunde Umwelt mit sauberer Luft, klarem Wasser und unbelasteter Nahrung: Es gab hier weder Schadstoffe noch Gifte oder Patho-gene, und selbst natürliche Risiken – wie die natürliche Radioaktivität der Erde, die im Erdboden und Gestein vorkam – konnten eliminiert werden. Wenn man den Menschen einen guten Lebensraum bot, entwickelten sie sich vielleicht zu gesunden und langle-bigen Wesen.
Und was die Anpassung an die Mikrogravitation betraf, so erfolgte die vielleicht auch ganz natürlich. Er erinnerte sich daran, dass die Delphine und andere Meeressäuger schließlich auch keine Zentrifugen oder Elektrostimulation brauchten, um das Funktionieren von Muskeln und Knochen in der schwerelosen Umgebung aufrechtzuerhalten, die sie bewohnten. Vielleicht hatten diese menschlichen Weltraum-Bewohner mehr mit den Delphinen gemeinsam als mit den knochigen Staubtretern seiner Art.
Der Baum war ein gentechnisch veränderter Spross von Mammutbäumen auf dem Mond. Die Menschen nutzten den Baum für viele Zwecke: Als Anlegestelle, Beobachtungsplattform, Freizeitan-lage. Und der Baum selbst verfolgte nur das Ziel, zu wachsen und zu überleben, und diesem Bestreben schienen auch keine Grenzen gesetzt, bis die Sonne selbst flackerte und erlosch.
Es gab auch mehr als einen Baum.
Im Jahr 3265 war die Erde in ein expandierendes Geflecht aus Vegetation, raumtauglichen Bäumen und luftgestützten Spinnen 456
gehüllt, das sich vom Weltall bis zur Oberfläche erstreckte. Und langsam entwickelten Systeme sich auch in die Gegenrichtung. Eines Tages würde es vielleicht eine Art biologischer Leiter geben, die von der Erde
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