Das Multiversum 2 Raum
dieser ersten wundersamen Entdeckung beteiligt war – als ob sie durch bloße Nähe ein wenig von diesem wundervollen Licht einzufangen vermöchten.
»Schon vor der Ankunft der Gaijin«, fuhr Malenfant fort, »waren wir davon überzeugt, dass Leben überall verbreitet sein muss.
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Wir glauben, dass die Natur einheitlich ist und dass die Gesetze und Prozesse, die hier gelten und walten, überall Gültigkeit haben.
Und nun orientieren wir uns am kopernikanischen Prinzip: Wir glauben nicht, dass wir einen besonderen Platz in Raum und Zeit einnehmen. Wenn es also hier auf der Erde Leben gibt, muss es überall welches geben – in der einen oder anderen Form.
Deshalb ist die Tatsache, dass lebende Wesen von den Sternen im Asteroidengürtel erschienen sind (das heißt, falls sie leben), auch keine große Überraschung. Die Überraschung ist vielmehr, dass sie eben erst auftauchen, hier und jetzt. Wenn sie existieren, wieso sind sie nicht schon früher gekommen?
Es hat sich in der wissenschaftlichen Praxis bewährt, bei der Begegnung mit dem Unbekannten einen Zustand des Gleichgewichts anzunehmen: Einen stabilen Zustand, nicht etwa einen Zustand der Veränderung. Weil Veränderung etwas Ungewöhnliches und Besonderes ist.
Vielleicht sehen Sie das Problem bereits. Für uns bedeutet das Erscheinen der Gaijin die Ankunft – die erste Ankunft, die wir als solche erkennen – außerirdischer Kolonisten im Sonnensystem.
Deshalb befinden wir uns nicht in einer Zeit des Gleichgewichts, sondern in einer Zeit des Übergangs, möglicherweise der grundle-gendsten Veränderung aller Zeiten. Es ist so unwahrscheinlich, dass es nicht wahr ist.
Anders ausgedrückt, das ist die Frage, die von all diesen Science Fiction-Filmen über die Invasion Außerirdischer, mit denen ich aufgewachsen bin, ausgeklammert wurde.« Leicht verwundertes Ge-lächter von den jüngeren Männern. Was ist denn ein ›Film‹? »Wieso kommen diese glubschäugigen Kerle ausgerechnet jetzt, wo wir nur Panzer und Atomwaffen zu ihrer Abwehr haben?«
Malenfant ließ den Blick übers Publikum schweifen. Die Augen waren tief eingesunken, und er sah müde und erschöpft aus. »Ich erzähle Ihnen das, weil Sie diejenigen sind, die die Herausforde-43
rung angenommen haben, wo Regierungen und andere Institutionen schmählich versagt haben, dorthin zu fliegen und herauszufinden, was dort vorgeht. Die Gaijin geben uns Rätsel auf – von denen einige vielleicht gelöst werden, sobald wir sie in Augenschein nehmen. Aber ihre schiere Präsenz wirft noch tiefergehende Fragen auf, Fragen, die die Natur des Universums selbst betreffen und unseren Platz in ihm. Und im Moment sind Sie die einzigen, deren Taten uns einer Beantwortung dieser Fragen näher bringen.
Sie haben meine volle Unterstützung. Machen Sie Ihre Sache gut. Alles Gute. Danke.«
Er bekam – zunächst höflichen – Beifall.
Xenia vermutete, dass die Veranstaltung inszeniert war. Sie stellte sich vor, wie dieser Mann vor dreißig Jahren die Mitarbeiter von Fabriken motiviert hatte, in denen Space Shuttle-Komponenten produziert wurden. Leistet gute Arbeit!
Zu ihrem Erstaunen schwoll der Applaus jedoch an und wurde geradezu stürmisch. Und zu ihrem noch größeren Erstaunen wurde sie sich bewusst, dass sie auch klatschte.
■
Xenia und Dorothy mussten sich förmlich zu Frank Paulis und Malenfant durchkämpfen, so umlagert war der Astronaut von einer Gruppe enthusiastischer junger Ingenieure.
Dorothy studierte Xenias Gesichtsausdruck. »Sie haben es nicht so mit der Heldenverehrung, nicht wahr, Xenia?«
»Halten Sie mich etwa für zynisch?«
»Nein.«
Xenia verzog das Gesicht. »Aber es – frustriert mich. Wir erleben einen Erstkontakt; ein einmaliges Vorkommnis in der Menschheitsgeschichte, was auch immer die Zukunft bringen mag. Wenig-44
stens versucht Bootstrap etwas zu tun. Doch außer unsren Bemü-
hungen sehe ich überall nur Irrationalität. Das und Interessenpoli-tik. Verschiedene Gruppen versuchen diese Entdeckung für ihre Zwecke zu nutzen.«
»Auch die Kirche?«
»Stimmt's etwa nicht?«
»Wir alle müssen sehen, wo wir bleiben, Xenia. Auf jeden Fall setzt die Kirche mit der Anteilnahme an Ihrem Projekt ein deutliches Zeichen, dass wir einen Ausweg aus der Glaubenskrise suchen, in den die Gaijin uns gestürzt haben.«
»Welche Krise denn?«
»Der Vatikan befasste sich in den neunziger Jahren zum ersten Mal in der Neuzeit mit den Weiterungen außerirdischen Lebens für die
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