Das Multiversum 3 Ursprung
war schon zufrieden, wenn man sie nur in Ruhe ließ.
Dann bekam das Kind einen Ausschlag am Bauch und an den Beinen, und Schatten verlor einen großen Teil der Haare in der Lendengegend. Ihr Haar und das des Kindes waren durch Urin und Fäkalien verfilzt. In ihrem Zustand hatte sie weder das Kind gesäubert noch sich selbst, als es sie beschmutzt hatte.
Sie kletterte vom Baum herunter und legte das Kind auf den Boden. Als Schatten das Kind aufsetzte, war es wirklich in der Lage, aus eigener Kraft sitzen zu bleiben – es schwankte zwar, die Beine waren verkrümmt und der ungefüge, seltsame Kopf wackelte wie eine schwere Frucht, aber es blieb dennoch sitzen. Sie wusch es sanft mit Wasser aus einem Bach. Durch das kühle Nass wurde der Ausschlag gelindert. Die Infektion des Kinds schwächte sich auch ab, und die Nase war kaum noch verstopft.
Das Kind klatschte in die kleinen Hände, betrachtete sie, als ob es sie noch nie zuvor gesehen hätte und schaute mit großen Augen zu seiner Mutter auf.
Schatten umarmte den Jungen. Sie wurde von ihren Gefühlen überwältigt, warm, tiefrot und stark.
Dann wurde sie von einer schweren Masse in den Rücken getroffen und zu Boden geworfen.
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Das Kind schrie. Mühsam kniete sie sich hin und drehte den Kopf.
Einauge hatte das Kind. Er saß auf dem Boden und fasste das Baby um die Taille. Der schwere Kopf des Kinds wackelte. Einauge wurde von zwei jüngeren Männern flankiert, die ihn erwartungsvoll beobachteten. Einauge schnippte mit einem blutigen Finger gegen den Kopf des Kinds, so dass das Taumeln sie verstärkte.
Schatten kam auf die Füße. Der Rücken war mit Prellungen und Blutergüssen übersät. Sie ging auf wackligen Beinen vorwärts und verspürte bei jedem Schritt einen stechenden Schmerz. Sie stellte sich vor sich und streckte die Hände nach dem Kind aus.
Einauge drückte das Kind fest, aber nicht grob an die Brust, und das Kind zauste ihm das Fell und versuchte sich daran festzuklam-mern. Die anderen Männer betrachteten Schatten mit kühler Berechnung.
Schatten stand verwirrt und erhitzt, erschöpft und von Schmerzen gepeinigt da. Sie wusste nicht, was Einauge wollte. Sie setzte sich auf den Boden, legte sich zurück und spreizte die Beine.
Einauge grinste. Er hielt das Kind vor sich. Und dann biss er ihm in die Stirn. Das Kind zuckte und erschlaffte.
Schattens Welt löste sich in blutrotem Zorn auf. Sie sah, wie der Körper des Kinds durch die Luft flog. Es war schlaff wie ein zerkautes Blatt, und es strömte Blut aus der tiefen Kopfwunde. Sie stürzte sich schreiend auf Einauge, kratzte und biss ihn. Einauge fiel auf den Boden und hob die Hände vor das blutige Gesicht, um sich vor ihren Schlägen zu schützen.
Dann packten die anderen Männer sie an den Schultern und zerrten sie weg. Sie wehrte sich nach Kräften, aber sie war durch Hunger, Schläge und Krankheit geschwächt; sie war kein Gegner für zwei stämmige Männer. Dann packten sie sie an einem Arm 454
und einem Bein, schwangen sie durch die Luft und schleuderten sie gegen einen großen Baumstamm.
Die Männer waren noch immer da. Einauge und die anderen saßen in einem engen Kreis auf dem Boden. Sie machten sich an irgendetwas zu schaffen. Sie hörte das Reißen von Fleisch und roch den Gestank von Blut. Sie versuchte aufzustehen, schaffte es aber nicht und versank wieder in Dunkelheit.
Als sie wieder aufwachte, war sie allein. Das Sonnenlicht war erloschen, und nur das fahlgelbe Erdlicht, das durchs Blätterdach gefiltert wurde, fiel auf den Boden.
Sie kroch zu der Stelle, wo die Männer gesessen hatten.
Sie hob einen kleinen Arm auf. Ein Fleischfetzen an der Schulter zeigte, wo er aus dem Rumpf gerissen worden war. Die perfekt geformte Hand war noch da – sie war zu einer winzigen Faust geballt.
Sie war hoch in einem Baum, in einem behelfsmäßig gebauten Nest. Sie wusste nicht mehr, wie sie dorthin gekommen war. Es war Tag, und die Sonne stand hoch und heiß am Himmel.
Sie erinnerte sich an ihr Baby. Sie erinnerte sich an die winzige Hand.
Als sie den Baum herabkletterte, war ihre Entschlossenheit so klar wie schnell fließendes Wasser.
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Emma Stoney:
Emma trottete müde durch den feinen Sand an der Meeresküste.
Das Meer selbst war eine stählerne Platte, die am Horizont deutlich gekrümmt war, und warf in der niedrigen Schwerkraft große träge Wellen.
Dieser schmale gelb-weiße Strand erstreckte sich zwischen dem Meer und einer flachen Dünenkette. Landeinwärts sah sie
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