Das Multiversum 3 Ursprung
verschont; also auch ihre Bewohner, die sich mit dem niederen Instinkt von Tieren hier versammelt haben müssen.«
»Dann sind wir also privilegiert«, sagte McCann vorsichtig, »einen Blick auf die vorsintflutliche Ordnung der Dinge werfen zu dürfen.«
»Privilegiert oder verdammt«, murmelte Sprigge und starrte auf den Neandertaler-Jungen auf Lobegotts Schoß. »Dieser Ort ist eine Abscheulichkeit.«
»Keine Abscheulichkeit«, sagte Lobegott schroff. »Es ist wie ein Zerrbild der Schöpfung. Der Mensch wurde erschaffen, um zur Ordnung der Wesen über sich aufzuschauen, zu Engeln, Prophe-ten, Heiligen und Aposteln, die der Heiligen Dreifaltigkeit dienen.
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Hier schauen wir hinab, hinab auf diese Kreaturen mit Händen und Gesichtern und sogar mit der Sprache von Menschen, aber Kreaturen ohne Geist und Seele, die sich im Schlamm suhlen.«
In diesem Stil ging das weiter, eine zusammenhanglose Unterhaltung aus Versatzstücken, die mit Missverständnissen gespickt und von Misstrauen durchdrungen war. Trotzdem lernte Malenfant etwas über Lobegott Michael.
Die Siedlung der Eiferer war ein gottloser Platz gewesen, als Lobegott ein Kind war. Es herrschten dort Anarchie und Gesetzlosig-keit, und die Gemeinschaft wurde vom Lockruf des grünen Waldes in Versuchung geführt. Aber Gott – so wurde Michael von seinen Eltern unterwiesen – manifestierte sich in jeder Facette des Lebens.
Gott erfüllte die täglichen Bedürfnisse der Menschen und bestrafte ihre Sünden, und die Auserwählten – jene, die Gottes Gesetz be-folgten – würden errettet werden. Lobegott lernte das im Gebet, durch Schmerz und leidvolle Erfahrungen, die ihn zu einem miss-trauischen Menschen machten. Malenfant schloss aus den Erzählungen, dass er das Opfer ständiger Misshandlungen durch seine Eltern gewesen war.
Und dann ließen sie ihn im Stich, verschwanden einfach im Busch und überließen das Kind der mildtätigen Fürsorge der Dorfbewohner.
Das Leben schien kein Zuckerschlecken gewesen zu sein für den jungen Lobegott. Doch dann hatte er die Religion für sich wieder entdeckt und bezog daraus eine innere Stärke. Und nachdem der heranwachsende, hart gewordene Lobegott erkannt hatte, dass er einer der Auserwählten war, hatte er auch seine Bestimmung gefunden: Sich Gottes Kampf und der Errichtung Seines Königreiches auf dieser unvollkommenen Welt zu widmen.
Dieses Ziel hatte er fortan mit brennendem Eifer und einer unerschütterlichen Zielstrebigkeit verfolgt, die diesen hageren, lis-446
pelnden und verwarzten Prediger in einen wahren Messias verwandelt hatte.
Aber das hatte natürlich auch seinen Preis.
Malenfant hatte den Eindruck, dass die anderen Hominiden, die Prä-sapientes, für die Eiferer kaum existierten. Sie hatten keine Sprache, keine Kleidung, keine Religion und hatten folglich auch keine Rechte unter Gott und den Menschen. Sie waren im Grunde nicht mehr als Tiere, trotz ihrer neugierigen Blicke, der schmerzerfüllten Schreie, des Elends in der Sklaverei: Sie waren nur eine aus-zubeutende Ressource.
Malenfant beugte sich nach vorn. »Aus reiner Neugier: Was willst du überhaupt, Lobegott Michael? Was willst du unter all diesen Tieren erreichen?«
»Ich will Ramose nacheifern«, sagte Michael mit glänzenden Augen, »der sein Volk aus Ägypten ins Land Kanaan geführt hat …«
Malenfant wurde sich schnell bewusst, dass dieser ›Ramose‹ eine Art Analogie zum Moses seiner Zeitlinie war, wie der Johannes, der in McCanns Geschichte Christi Platz eingenommen hatte.
»Ich glaube, ich habe die Vorsehung Gottes geschaut, denn durch Seine Fügung bin ich wohl hier an diesen Platz gestellt worden.
Und ich habe keine andere Wahl, als dieser Vorsehung zu folgen.«
McCann schien sich aufzuregen. »Aber man muss auch nach der Wahrheit von Vorsehungen suchen, Lobegott Michael. Man muss sich davor hüten, sich selbst zu erhöhen.«
Michael lachte nur. »Ihr lebt noch nicht lang in diesem Land.
Ihr werdet noch sehen, dass ich der einzige bin, der zwischen diesen hirnlosen Affen und dem Chaos steht.« Anscheinend unbewusst streichelte er dem Neandertaler-Jungen die breite Brust.
Dann schaute er aus der Zeltklappe; der Regen hatte inzwischen nachgelassen. »Kommt. Wir werden das theologische Seminar spä-
ter fortsetzen. Nun müssen wir auf die Jagd gehen, um Bäuche zu füllen.« Sprach's und trat aus dem Zelt.
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»Der Mann ist die Härte«, sagte McCann und schaute finster auf Lobegotts Rücken. »Er beansprucht
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